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Reform des Sanktionenrechts verabschiedet

Aus wistra 9/2023

Das vom Deutschen Bundestag am 22.6.2023 beschlossene „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ hat am 7.7.2023 den Bundesrat passiert und wird nach seinem Art. 5 am 1.10.2023 in Kraft treten (BGBl. I 2023 Nr. 203 vom 2.8.2023).

Materialien: Regierungsentwurf (BT-Drucks. 20/5913), 1. Lesung (BT-Plenarprotokoll 20/90, S. 10779B-10787D), Wortprotokoll der Sachverständigenanhörung (BT-Protokoll-Nr. 20/49), Beschlussempfehlung und Bericht (BT-Drucks. 20/7026), 2./3. Lesung (BT-Plenarprotokoll 20/112, S. 13729B-13738A, 20/112, S. 13738B-13738C).

Das Reformvorhaben ändert den bisherigen Eins-zu-Eins-Maßstab für die Umrechnung von Geldstrafe in Ersatzfreiheitstrafe (§ 43 StGB): Statt einem Tagessatz entsprechen zukünftig zwei Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe. Dadurch halbiert sich die Anzahl der Tage der an die Stelle der Geldstrafe tretenden Ersatzfreiheitsstrafe und damit zugleich die Anzahl der ggf. zur Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe zu leistenden Arbeitsstunden. Vollstreckungsrechtliche Ergänzungen sollen die verurteilte Person stärker bei der Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafe unterstützen. Außerdem werden „geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive in die Liste der Strafzumessungsumstände (§ 46 II 2 StGB-E) aufgenommen. Weiter normiert das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit der Therapieweisung im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56c II Nr. 5 StGB-E), der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59a II 1 Nr. 5 StGB-E) und des Absehens von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen (§ 153a I 2 Nr. 8 StPO-E). Bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt gibt es zukünftig auch die Anweisung, sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen (Arbeitsauflage, § 59a II 1 Nr. 4 StGB-E). Im Maßregelrecht werden insbesondere die Anordnungsvoraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eingeengt (§ 64 StGB-E).

Gegenüber dem Regierungsentwurf (s. dazu Busch, wistra 2023, Heft 5 R9) sind nur wenige Änderungen erfolgt.

1. Dazu gehört eine Ausweitung des internationalen Strafanwendungsrechts (§ 5 StGB, Art. 1 Nr. 1), die auf eine Prüfbitte des Bundesrats zurückgeht. Mit Blick auf die im Regierungsentwurf vorgesehene Ergänzung der Strafzumessungskriterien (§ 46 II 2 StGB-E) um „geschlechtsspezifische, gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Umstände hatte der Bundesrat um Prüfung gebeten, ob nach Auslaufen des deutschen Vorbehalts zu Art. 44 des Übereinkommens des Europarats vom 11.5.2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention; s. zum Vorbehalt BT-Drucks. 18/12037, 81) die Regelung des § 5 StGB (Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug) dahingehend zu erweitern ist, dass bei den nach den Art. 36 bis 39 der Istanbul-Konvention umschriebenen Straftaten deutsches Strafrecht bei einer Tatbegehung im Ausland auch dann unabhängig vom Recht des Tatorts gilt, wenn der Täter nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, aber seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (BT-Drucks. 20/5913, 85). Die Bundesregierung hat dieses Anliegen unterstützt (BT-Drucks. 20/5913, 90; BT-Drucks. 20/7026, 19), das nun durch eine Ergänzung von § 5 Nr. 6 Buchst. c, Nr. 8, 9 Buchst. a, Nr. 9a Buchst. a und b StGB umgesetzt wurde. Das deutsche Strafrecht gilt danach für die darin aufgezählten Straftaten der Zwangsheirat (§ 237 StGB), der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§ 174 I, II und IV, §§ 176 bis 178, 182 StGB), der Straftaten gegen das Leben (§ 218 II 2 Nr. 1, IV 1 StGB) und Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (§ 226 I Nr. 1 i.V.m. II, § 226a StGB) auch dann, wenn der Täter „seine Lebensgrundlage im Inland“ hat (Domizilprinzip). In der Denkschrift des Vertragsgesetzes zur Istanbul Konvention hatte der Gesetzgeber noch darauf verwiesen, dass das Domizilprinzip dem deutschen Strafanwendungsrecht aus guten Gründen fremd sei: „Bei dem an die Staatsangehörigkeit des Täters anknüpfenden aktiven Personalitätsprinzip handelt es sich um einen völkerrechtlich allgemein anerkannten und auch im ausländischen Recht weit verbreiteten Grundsatz, dem der Gedanke der Personalhoheit über die eigenen Staatsangehörigen zugrunde liegt (MünchKomm/StGB/Ambos, 3. Auflage 2017, vor § 3 Rn. 27). Einen solchen rechtlichen Anknüpfungspunkt oder einen entsprechend anerkannten und verbreiteten Grundsatz gibt es im Hinblick auf im Inland ansässige Ausländer hingegen (noch) nicht“ (BT-Drucks. 18/12037, 81). Der Bundesrat selbst hatte in seiner Stellungnahme vom 8.4.2022 zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (s. dazu Busch, wistra 2022, Register 49) noch darauf hingewiesen, dass es „aus völkerrechtlichen Gründen problematisch ist, die Anwendbarkeit nationalen Strafrechts für Auslandstaten allein an den gewöhnlichen Aufenthalt des Täters im Inland zu knüpfen, so wie dies Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d des Richtlinienvorschlags vorsieht“ (BR-Drucks. 27/22 [Beschluss], S. 9). Eine solche Vorschrift ist auch in dem Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung der Korruption vom 3.5.2023 (s. dazu Busch, wistra 2023, Heft 6 R9) enthalten (Art. 20[1][b]).

2. Im parlamentarischen Verfahren wurde außerdem eine Ergänzung in § 40 II StGB vorgenommen (Art. 1 Nr. 2). Danach muss das Gericht bei Bestimmung der Tagessatzhöhe (auch) darauf achten, dass „dem Täter mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens verbleibt“ (§ 40 II 3 StGB-E). Die Regelung kodifiziere die obergerichtliche Rechtsprechung, die insbesondere bei Empfängern sozialer Transferleistungen ein Abweichen vom Nettoeinkommensprinzip (das nach § 40 II 2 StGB nur „in der Regel“ Grundlage der Bemessung sein soll) und ein Absenken des Tagessatzes für geboten halte (BT-Drucks. 20/7026, 17).

3. Nach § 459e IIa 1 StPO-E (Art. 2 Nr. 3) können Vollstreckungsbehörde und Gerichtshilfe zu dem Zweck, dem Verurteilten Möglichkeiten aufzuzeigen, die Geldstrafe mittels Zahlungserleichterungen zu tilgen oder die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden, einer von der Vollstreckungsbehörde beauftragten nichtöffentlichen Stelle die hierfür erforderlichen personenbezogenen Daten übermitteln. Diese Daten sind nach einem Jahr zu vernichten (§ 459e IIa 5 StPO-E), wobei nach den im parlamentarischen Verfahren erfolgten Änderungen der Lauf dieser einjährigen Löschungsfrist mit der Beendigung der beauftragten Tätigkeit und nicht mit dem Vollstreckungsabschluss beginnt (BT-Drucks. 20/7026, 19; BT-Drucks. 20/5913, 86, 90).

4. Schließlich hat das Parlament in § 463d StPO (Gerichtshilfe) klargestellt, dass Gericht und Vollstreckungsbehörde die Gerichtshilfe nicht nur einbeziehen können, sondern dies tun sollen vor einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung eines Strafrestes (sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist) oder der Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, um die Abwendung der Anordnung oder Vollstreckung durch Zahlungserleichterungen oder durch freie Arbeit zu fördern (§ 463d S. 2 StPO-E, Art. 2 Nr. 5; BT-Drucks. 20/7026, 19 f.).

5. Bemerkenswert ausführliche Hinweise gibt der Rechtsauschuss in der Begründung seiner Beschlussempfehlung zu dem neuen Zwei-zu-Eins-Umrechnungsmaßstab für die Ersatzfreiheitsstrafe, obwohl er diese Regelung (§ 43 S. 2 StGB-E, Art. 1 Nr. 3) unverändert gelassen hatte. Eine Übertragung des neuen Umrechnungsmaßstabs auf weitere Vorschriften, die eine Um- oder Anrechnung von Geldstrafe in oder auf Freiheitsstrafe oder andere Freiheitsentziehungen (insbesondere Untersuchungshaft) oder umgekehrt vorsähen (§§ 47 II 2, 51 IV 1, 54 III StGB, Art. 12 IV EGStGB), sei nicht angezeigt. Insbesondere stelle die auf § 43 S. 2 StGB-E beschränkte Halbierung des Umrechnungsmaßstabes keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 I GG dar, nachdem es hinreichende Gründe für diese unterschiedliche Behandlung gebe (BT-Drucks. 20/7026, 18 f.; a.A. die vom Ausschuss angehörte Sachverständige Allgayer, BT-Protokoll-Nr. 20/49, S. 9, 42). Der Ausschuss bezieht sich außerdem auf seine Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine gezielte Entkriminalisierung von Bagatelldelikten, die besonders häufig zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe führten, einen Beitrag zur Vermeidung einer Anordnung und Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen leisten könne. Der Ausschuss halte es für sinnvoll, insbesondere die Strafbarkeit der Beförderungserschleichung gem. § 265a StGB zu überprüfen (BT-Drucks. 20/7026, 19). Dagegen hält der Ausschuss eine klarstellende Regelung, dass ein Bruchteil von Tagen von Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt wird, für entbehrlich (BT-Drucks. 20/7026, 19). Der Ausschuss begrüßt schließlich, dass die Bundesregierung auch Änderungen des Strafbefehlsverfahrens prüft. Überprüft werden sollte nach Ansicht des Ausschusses insbesondere, „wie verhindert werden könne, dass durch Strafbefehl verhängte Geldstrafen de facto automatisch zu einer Ersatzfreiheitsstrafe führen können“. Auch sei zu beraten, ob zur besseren Nachvollziehbarkeit die Berechnungsgrundlage der Tagessatzhöhe im Strafbefehl anzugeben sei (BT-Drucks. 20/7026, 19).

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.


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