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Neuer Anlauf für Hinweisgeberschutz – Koalitionsfraktionen trennen nach Scheitern im Bundesrat zustimmungsbedürftige Regelungsteile ab

Aus wistra 4/2023

Das Gesetzgebungsverfahren zur Stärkung des Hinweisgeberschutzes und zur Umsetzung der EU-Hinweisgeberschutz-Richtlinie 2019/1937 geht in die nächste Runde. Der von der Bundesregierung im September 2022 eingebrachte Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (BT-Drucks. 20/3442; s. Busch wistra 2022, Register S. 61), war gescheitert, nachdem der Bundesrat dem vom Bundestag am 16.12.2022 angenommenen Gesetzentwurf bei seiner Sitzung am 10.2.2023 die Zustimmung versagt hatte.

Die Zustimmungsbedürftigkeit des Regierungsentwurfs hatte sich aus den beamtenrechtlichen Regelungen für Landesbeamte im Beamtenstatusgesetz ergeben (Art. 74 I Nr. 27, II GG, BT-Drucks. 20/3442, 36). Der Vermittlungsausschuss (Art. 77 III 4 GG) wurde weder durch den Bundesrat (wo hierfür ebenso wie für die Zustimmung zu dem Gesetz eine Mehrheit erforderlich gewesen wäre) noch durch die Bundesregierung angerufen. Im Bundesrat begründete der Staatsminister der Justiz Eisenreich die Ablehnung des Entwurfs durch Bayern damit, dass die vom Bundestag angenommene Fassung des Gesetzentwurfs weit über das hinausgehe, was europarechtlich verlangt und sinnvoll sei. Diese gelte insbesondere für den sachlichen Anwendungsbereich und führe in wirtschaftlich ohnehin schwierigen Zeiten zu hohen Kosten und zusätzlicher Bürokratie gerade für kleinere und mittlere Unternehmen (BR-Plenarprotokoll 1030, S. 2, 3). Für Hessen kritisierte der Minister der Justiz Poseck ebenfalls den über die umzusetzende Richtlinie hinausgehenden sachlichen Anwendungsbereich und die im parlamentarischen Verfahren hinzugekommene Verpflichtung zur Einrichtung von Meldekanälen für anonyme Meldungen, die für Unternehmen zu erheblichen Mehrkosten führe und Missbrauchsrisiken berge. Auch die im Gesetzentwurf vorgesehene Beweislastumkehr für den Zusammenhang zwischen Meldung und Benachteiligung (Repressalie) gehe über die Richtlinie hinaus und habe Missbrauchspotential. Schließlich sei eine Geldbuße bei Nicht-Einrichtung einer Meldestelle nicht erforderlich (BR-Plenarprotokoll 1030, S. 2, 4 f.). Für die Bundesregierung wies der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz Strasser auf die bereits im Dezember 2021 abgelaufene Frist zur Umsetzung der EU Richtlinie hin. Der Anwendungsbereich des Entwurfs gehe zwar über die vorgegebenen Rechtsbereiche der EU Richtlinie hinaus, was aber notwendig sei, um Wertungswidersprüche zu vermeiden und das Gesetz für die Praxis handhabbar und anwendungsfreundlich zu gestalten. Einbezogen würden insbesondere alle strafbewehrten und bestimmte bußgeldbewehrte Verstöße. Anderenfalls wären diejenigen geschützt, die einen geringfügigen Verstoß, etwa gegen die DSGVO, meldeten, nicht aber jemand, der die Misshandlung von Pflegebedürftigen melde, was nicht vermittelbar sei (BR-Plenarprotokoll 1030, S. 2, 5 f.). 


1. Die Koalitionsfraktionen haben am 14.3.2023 nunmehr zwei neue Gesetzentwürfe eingebracht und das Vorhaben auf diese Weise in einen zustimmungsbedürftigen und einen nicht zustimmungsbedürftigen Teil aufgespalten. Beide Entwürfe wurden am 17.3.2023 vom Deutschen Bundestag in erster Lesung beraten (BT-Plenarprotokoll 20/93, S. 11086[B]). Der „Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (BT-Drucks. 20/5992), ist weitgehend deckungsgleich mit dem vom Deutschen Bundestag am 16.12.2022 angenommenen Entwurf, enthält also insbesondere die vom Parlament am Regierungsentwurf vorgenommenen Änderungen. Vom Anwendungsbereich des in Art. 1 vorgesehenen „Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen“ (HinSchG-E) sind, um die Zustimmungsbedürftigkeit entfallen zu lassen, nunmehr allerdings ausgenommen: Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richterinnen und Richter im Landesdienst (§ 1 III HinSchG-E). Der zweite Gesetzentwurf (Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Regelungen zum HinweisgeberschutzBT-Drucks. 20/5991) soll genau diese Begrenzung wieder aufheben und bedarf dazu der Zustimmung des Bundesrats. Kommen beide Gesetze zustande, entspricht das inhaltlich dem vom Deutschen Bundestag bereits angenommenen Entwurf mit der Abweichung, dass das HinSchG bereits einen Monat nach Verkündung in Kraft treten soll (BT-Drucks. 20/5592, Art. 9 II; also nicht erst drei Monate nach der Verkündung wie noch im Regierungsentwurf vorgesehen) und dass für die Bußgeldbewehrung von Verstößen gegen die Pflicht zur Einrichtung und zum Betrieb einer internen Meldestelle (§ 40 I Nr. 2 HinSchG-E) eine Übergangsfrist von sechs Monaten vorgesehen wird (§ 42 III HinSchG-E).

2. Die Änderungen, die der Bundestag an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgenommen hatte (Beschlussempfehlung und Bericht auf BT-Drucks. 20/4909) und die sich jetzt in dem neuen HinSchG-E wiederfinden, betreffen folgende Punkte:

  • Der Anwendungsbereich soll um Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen, erweitert werden (§ 2 I Nr. 10 HinSchG-E), damit verfassungsfeindliche Äußerungen auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gemeldet werden können (BT-Drucks. 20/4909, 52).
  • Der sachliche Anwendungsbereich soll zudem um Verstöße gegen die Verordnung (EU) 2022/1925 über bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor erweitert werden (§ 2 I Nr. 9 HinSchG-E, zur Zuständigkeit des BKartA s. § 22 I HinSchG-E).
  • Bei der Definition des „Verstoßes“ (§ 3 II Nr. 2 HinSchG-E) soll das Merkmal „missbräuchlich“ entfallen, um den Gesetzeswortlaut enger an die umzusetzende Richtlinie anzulehnen (BT-Drucks. 20/4909, 52).
  • Bei der Ausnahmevorschrift des § 5 I Nr. 2 HinSchG-E soll klargestellt werden, dass von der Ausnahme Informationen der Nachrichtendienste des Bundes und der Länder ebenso erfasst sind wie Informationen von Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen der Länder, soweit sie Aufgaben nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz wahrnehmen (BT-Drucks. 20/4909, 53). Eine Rückausnahme sieht § 5 II Nr. 1 HinSchG-E für als „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Verschlusssachen vor, wenn es um eine Meldung von strafbaren Verstößen an eine interne Meldestelle geht, die nach der Beschlussempfehlung auf Verschlusssachen der Länder ausgeweitet werden soll (BT-Drucks. 20/4909, 53).
  • Das HinSchG-E soll auch Tierärzte schützen, die trotz ihrer Schweigepflicht (§ 203 StGB) Verstöße gegen Vorschriften zur Tiergesundheit melden (§ 5 II Nr. 4 HinSchG-E, BT-Drucks. 20/4909, 53).
  • Ein neuer § 7 III HinSchG-E soll an die Beschäftigungsgeber appellieren, Anreize für Beschäftigte zu schaffen, zunächst interne Meldeverfahren zu nutzen, ohne dass der Zugang zu externen Meldestellen eingeschränkt werden darf (BT-Drucks. 20/4909, 53 f.).
  • In § 10 HinSchG-E soll die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten nach der DSGVO geregelt werden (BT-Drucks. 20/4909, 54).
  • Die Aufbewahrungsfrist für Meldungen nach § 11 V HinSchG-E soll von zwei auf drei Jahre verlängert werden (BT-Drucks. 20/4909, 54).
  • Die Regelung, dass sich die Pflicht zur Einrichtung und zum Betrieb interner Meldestellen für Gemeinden und Gemeindeverbände nach dem jeweiligen Landesrecht richtet (§ 12 I HinSchG-E), soll auf kommunale und kommunal kontrollierte Unternehmen in öffentlich- oder privatrechtlicher Rechtsform erweitert werden (BT-Drucks. 20/4909, 54).
  • Nach dem geänderten § 16 I 4 HinSchG-E sollen interne Meldekanäle vorzuhalten sein, „welche die anonyme Kontaktaufnahme und die für die hinweisgebende Person anonyme Kommunikation zwischen hinweisgebender Person und interner Meldestelle ermöglichen“. Anonymität gewähre grundsätzlich den größten Schutz für hinweisgebende Personen und könne zur Verringerung der Hemmschwelle zur Abgabe einer Meldung beitragen. Zahlreiche bestehende externe Meldeverfahren in Deutschland sähen bereits heute die Möglichkeit zur Abgabe anonymer Meldungen vor, so die Begründung der Beschlussempfehlung (BT-Drucks. 20/4909, 55; Parallelregelung für anonyme Meldungen an externe Stellen in § 27 I HinSchG-E; Übergangsfrist bis 1.1.2025 in § 42 II HinSchG-E; zum Schutz vor Repressalien bei anonymen Meldungen s. BT-Drucks. 20/4909, 51).
  • Nach § 16 III 3 HinSchG-E soll mit Einwilligung der hinweisgebenden Person eine Zusammenkunft mit der Meldestelle auch im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen können (BT-Drucks. 20/4909, 55; Parallelregelung für externe Meldestellen in § 27 III HinSchG-E).
  • Nach dem neuen § 24 II 2 HinSchG-E sollen externe Meldestellen über die Möglichkeiten interner Meldungen informieren (s. auch den geänderten § 28 I HinSchG-E, wonach bei Eingang geeigneter Meldungen auf interne Meldewege hinzuweisen ist und nicht mehr nur hingewiesen werden soll).
  • Nach dem ergänzten § 37 I HinSchG-E soll bei einem Verstoß gegen das Repressalienverbot Ersatz auch für Schäden geleistet werden müssen, die keine Vermögensschäden sind. Unabhängig von den Voraussetzungen des § 253 II BGB oder dem Vorliegen einer schwerwiegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts soll die hinweisgebende Person einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld haben. Die Ergänzung stelle somit eine gesetzliche Regelung i.S.d. § 253 I BGB dar. Dadurch werde auch dem Umstand Rechnung getragen, dass die umzusetzende Richtlinie eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens verlangt, wozu auch Schmerzensgeld für immaterielle Schäden gehöre (BT-Drucks. 20/4909, 56).

3. Zur sog. „Konzernlösung“ auf der Grundlage von § 14 I HinSchG-E hat der Rechtsausschuss in einem „ergänzenden Hinweis“ zu der von ihm unverändert gelassenen Regelung ausgeführt, dass für konzernverbundene Unternehmen die Konzentration der Expertise für die Bearbeitung von internen Meldungen häufig von großer Bedeutung sei, um eine schnelle und professionelle Fallbearbeitung zu gewährleisten. Dies gewährleiste zum einen für hinweisgebende Personen ein hohes Schutzniveau, ermögliche es zum anderen aber auch im Unternehmensverbund, gezielter konzernweite Probleme und Problemursachen festzustellen und wirksame Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Der Regierungsentwurf zeige hierfür in der Begründung zu § 14 I HinSchG-E eine auf dieser Vorschrift basierende Lösungsmöglichkeit auf (sog. „Konzernlösung“). Danach könne die interne Meldestelle eines Unternehmens nicht nur beispielsweise an Anwaltskanzleien „outgesourct“ werden, sondern auch innerhalb eines Konzerns zentral bei einer Konzerngesellschaft eine unabhängige und vertrauliche Stelle als Dritter i.S.d. § 14 I HinSchG-E angesiedelt werden. Dabei sei es – wie auch sonst bei der Beauftragung Dritter durch ein Unternehmen im Rahmen des internen Meldeverfahrens – notwendig, dass die originäre Verantwortung dafür, einen festgestellten Verstoß weiterzuverfolgen und zu beheben, immer bei dem jeweiligen beauftragenden Konzernunternehmen verbleibe. Der Ausschuss begrüßte diese Lösungsmöglichkeit ausdrücklich und weist auf ihre hohe Praxisrelevanz hin. Für hinweisgebende Personen müsse ein leichter Zugang gewährleistet sein. Dies schließe ein, dass keine sprachlichen Barrieren aufgebaut würden und eine Meldung in der für die hinweisgebende Person im jeweiligen Unternehmen vorherrschenden Arbeitssprache möglich sein müsse (BT-Drucks. 20/4909, 51). In die Begründung des nunmehr von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwurfs wurden diese Ausführungen nicht aufgenommen.

Ein weiterer „ergänzender Hinweis“ findet sich zum Abschluss des Verfahrens bei internen Meldewegen gemäß dem ebenfalls unveränderten § 18 III HinSchG-E. Das Gesetz enthalte keine verpflichtenden Vorgaben, wie das Meldeverfahren bei der internen Meldestelle letztlich abzuschließen sei, um flexible und kompatible Lösungen für unterschiedliche Strukturen zu möglichen (BT-Drucks. 20/4909, 52). Auch dieser Passus wurde nicht in den neuen Gesetzentwurf übernommen.

4. Die Europäische Kommission hatte bereits am 15.2.2023 beschlossen, Deutschland sowie sieben weitere Mitgliedstaaten (Tschechien, Estland, Spanien, Italien, Luxemburg, Ungarn und Polen) wegen der Nicht-Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Richtlinie (EU) 2019/1937), vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen (Vertragsverletzungsverfahren-Nr. INFR[2022]0052). Die Richtlinie wäre bis zum 17.12.2021 umzusetzen gewesen. Auf Antrag der Kommission kann der EuGH wegen der Nichtumsetzung einer Richtlinie als finanzielle Sanktion gegen den Mitgliedstaat einen Pauschalbetrag und ein tägliches Zwangsgeld verhängen (Art. 260 III AEUV; zur Berechnungsmethode s. Mitteilung der Kommission zur „Aktualisierung der Daten für die Berechnung der Pauschalbeträge und Zwangsgelder, die die Kommission dem Gerichtshof der Europäischen Union bei Vertragsverletzungsverfahren vorschlägt“ [2020/C 301/01]“).
Zum Hinweisgeberschutz s. auch den in einem der nächsten Hefte erscheinenden Aufsatz von Gramlich / Lütke

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.

 


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