aus wistra 5/2025
Unterhändler von CDU, CSU und SPD haben sich am 9.4.2025 auf einen Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode geeinigt. Unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ befasst sich der Text auf ca. 150 Seiten mit fünf Politikbereichen:
(1) Neues Wirtschaftswachstum, gute Arbeit, gemeinsame Kraftanstrengung
(2) Wirkungsvolle Entlastungen, stabile Finanzen und leistungsfähiger Staat(mit dem Unterabschnitt „2.2. Bürokratieabbau, Staatsmodernisierung und moderne Justiz“)
(3) Sicheres Zusammenleben, Migration und Integration (mit den Unterabschnitten „3.1. Innen“ und „3.2. Recht“)
(4) Starker Zusammenhalt, standfeste Demokratie
(5) Verantwortungsvolle Außenpolitik, geeintes Europa, sicheres Deutschland
Der 6. Abschnitt ist der „Zusammenarbeit innerhalb der Koalition“ gewidmet und regelt insbesondere Ressortzuschnitte und Ressortverteilung sowie die politische Koordinierung der Koalitionsparteien, Koalitionsfraktionen und Ressorts. Bei Konflikten soll ein Koalitionsausschuss Konsens herbeiführen. Wie in Koalitionsverträgen üblich, sind einheitliche Abstimmungen im Bundestag vorgesehen und wechselnde Mehrheiten (also Mehrheiten mit Hilfe von Oppositionsstimmen) wistra 2025, R9ausgeschlossen (Zeile 4499). Darüber hinaus schließen die Koalitionspartner auf allen politischen Ebenen eine Zusammenarbeit mit „verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien“ aus (Zeile 4506 ff.). Der 6. Abschnitt enthält auch die Vereinbarung, die Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2023 durch eine Kommission evaluieren zu lassen und auf dieser Grundlage das Wahlrecht so zu ändern, dass jeder Bewerber mit Erststimmenmehrheit einen Sitz im Parlament erhält und gleichzeitig die Zahl der Sitze nicht wieder ansteigt (Zeile 4511 ff.).
Für ihre Gesetzgebung (Zeilen 1865 ff.) nimmt sich die Koalition im Unterabschnitt 2.2. („Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung und moderne Justiz“) vor, bereits frühzeitig „Praxischecks“ durchzuführen und die Praxis mit angemessenen Fristen (in der Regel vier Wochen) zu beteiligen. Um den Wirkungsgrad von Gesetzen nachprüfbar zu machen, will man Erfolgsindikatoren festlegen und daran den späteren Gesetzesvollzug messen (was im Strafrecht herausfordernd sein dürfte). Gesetzentwürfe sollen eine Visualisierung von Organisationsstrukturen, Prozessabläufen und Wirkungsmodellen enthalten. Unnötige Gesetzgebung soll unterbleiben (Zeile 1866).
Zum Koalitionsvertrag für die vorherige Legislaturperiode s. Möhrenschlager, wistra 2022, Register S. 33; zur wirtschaftsstrafrechtlichen Bilanz der vorangegangenen Legislaturperiode s. Busch, wistra 2025, Heft 2, R9).
1. Moderne Justiz – schnell, schlank und digital
Die Koalition will die demokratische Integrität der Justiz schützen (Zeile 2711) und die Justiz „in der Fläche festigen“ (Zeile 2033). Öffnungs- und Experimentierklauseln für Gerichtsorganisation, Digitalisierung und gerichtliche Zuständigkeiten sollen die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder stärken (Zeilen 2055 ff., s. auch Zeilen 1878 ff.).
Den „Pakt für den Rechtstaat“ will die Koalition zusammen mit den Ländern zukunftsfest machen und ihm drei Säulen geben: verbesserte Digitalisierung, Verschlankung und Beschleunigung von Verfahrensabläufen und personelle Stärkung (Zeilen 2018 ff.). Die Digitalisierung soll konsequent fortgesetzt (Zeile 2024) und die Nutzung auch von Künstlicher Intelligenz in der Justiz ermöglicht werden (Zeilen 2030 f.; zum KI-Einsatz in der Strafverfolgung s. unten bei 3.). Dazu sollen die Verfahrensordnungen in das digitale Zeitalter übersetzt werden; Verfahrensplattformen sollen klassische Akten ersetzen und digitale Beweismittel aufnehmen können (Zeile 2038 f.). Zusammen mit den Ländern will man Standards für die Übermittlung von digitalen Dokumenten einschließlich von Behördenakten an Gerichte und Staatsanwaltschaften festlegen und die „Bundesjustizcloud“ umsetzen (Zeilen 2026 ff.; zu dem am 17.7.2024 in Kraft getretenen Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz s. Busch, wistra 2024, Register S. 46, 67 f.). Die in der letzten Legislaturperiode gescheiterte digitale Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung wird nicht erwähnt (s. dazu Busch, wistra 2024, Register S. 46, 67 f.).
Die Verfahrensdauer in der Justiz will die neue Koalition „generell erheblich verkürzen“ (Zeile 2039). Dafür und für eine effektive Strafverfolgung sei eine grundlegende Überarbeitung der StPO unumgänglich, für die eine Kommission aus Wissenschaft und Praxis unter Beteiligung der Länder eingesetzt werden soll (Zeile 2046 ff., zur Beschleunigung von Strafprozessen s. auch Zeile 3792 f.). Zugleich will die Koalition den Opferschutz im Strafprozess verbessern, die audiovisuelle Vernehmung von minderjährigen Zeugen erleichtern (Zeilen 2049 f.), prüfen, inwieweit bei Akteneinsicht auf die Angabe von Wohn- oder Aufenthaltsanschrift bei bestimmten Delikten verzichtet werden kann (Zeilen 2940 ff.) und bei Gewalt gegen Frauen eine anonyme Spurensicherung ohne Strafanzeige ermöglichen (Zeilen 3273 ff.).
2. Materielles Strafrecht
a) Kernstrafrecht
Die Koalition will das StGB weiterentwickeln und dabei auch „prüfen welche Vorschriften überflüssig sind und gestrichen werden können“ (Zeilen 2887 f., 1867).
Der Anwendungsbereich der Straftat der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ (§ 89a StGB) soll zukünftig den Fall abdecken, dass der Täter keinen Sprengstoff, sondern Gegenstände wie ein Messer oder ein Auto benutzen will (Zeilen 2844 ff.). Terrorangriffe mit solchen Alltagsgegenständen sollen damit bereits im Vorfeld besser verfolgt werden können.
Den einfachen Fall der „Geheimdienstlichen Agententätigkeit“ (§ 99 Abs. 1 StGB) will die Koalition mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedrohen. Der bisherige Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe soll für minder schwere Fälle gelten.
Der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) soll verschärft werden. Bei mehrfachen Verurteilungen soll das passive Wahlrecht entzogen werden können (s. dazu Schmitt-Leonardy, beck-aktuell vom 9.4.2025). Eine Strafbarkeit für Amtsträger und Soldaten, die im Zusammenhang mit der Dienstausübung antisemitische und extremistische Hetze in geschlossenen Chatgruppen teilen, soll geprüft werden (s. dazu den von Nordrhein-Westfalen initiierten Bundesratsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbot volksverhetzender Inhalte und verfassungswidriger Kennzeichen im Zusammenhang mit der Dienstausübung [BT-Drucks. 20/9646]).
Ebenfalls verschärft werden sollen die Strafen bei Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 StGB), „zum Beispiel durch Führerscheinentzug“ (zu der nach § 44 StGB seit 2017 möglichen Verhängung eines Fahrverbots in diesen Fällen s. König, DAR 2018, 604, 607; Schöch, NStZ 2018, 15 f. sowie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu „Unterhaltsvorschuss – Rückgriffsaktivitäten“, BT-Drucks. 19/5164, 2 f.).
Im Sexualstrafrecht will die Koalition für „Gruppenvergewaltigungen ... den Strafrahmen grundsätzlich erhöhen, insbesondere bei gemeinschaftlicher Tatbegehung, bei Vergewaltigung und bei Herbeiführung einer Schwangerschaft“ (Zeilen 2930 ff.). Geprüft werden soll eine Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes vor „gezielten, offensichtlich unerwünschten und erheblichen verbalen und nicht-körperlichen sexuellen Belästigungen“ (Zeilen 2933 ff.; zum Catcalling s. Pörner, ZRP 2025, 56; Weißer, ZRP 2024, 240). Bei „bildbasierter sexualisierter Gewalt“ sollen Lücken im Cyberstrafrecht geschlossen und dabei auch Deep Fakes und deren Zugänglichmachung gegenüber Dritten erfasst werden (Zeilen 2880 f.). Das „Cyberstrafrecht“ will die Koalition reformieren und dabei Strafbarkeitslücken schließen (s. dazu auch oben bei „bildbasierter sexualisierter Gewalt“ und „Deep Fakes“; zu dem geplanten „Digitalen Gewaltschutzgesetz“ s. Zeilen 2936 ff.). Ferner will man im Computerstrafrecht Rechtssicherheit für die IT‑Sicherheitsforschung schaffen und dabei Missbrauchsmöglichkeiten verhindern (zu dem BMJ-Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Modernisierung des Computerstrafrechts“ vom 4.11.2024, der strafwürdiges Verhalten und legitime IT‑Sicherheitsforschung voneinander abgrenzen sollte, s. Busch, wistra 2025, Heft 1 R7). Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Plattformen sollen insbesondere für Fälle von systematischen Mängeln bei der Entfernung strafbarer Inhalte verschärft werden, wobei man Missbrauchsmöglichkeiten verhindern will (Zeilen 2882 ff., 2289 f., zur Sperrung auch anonymer Hass-Accounts mit strafbaren Inhalten s. Zeilen 2938 f.). Systematisch eingesetzte manipulative Verbreitungstechniken wie der massenhafte und koordinierte Einsatz von Bots und Fake Accounts müssten verboten werden (Zeilen 3932 f.).
Für den Mordtatbestand (§ 211 StGB) soll ein „neues Qualifikationsmerkmal“ geschaffen werden, um Frauen und besonders verletzliche Personen wie Kinder, gebrechliche Menschen und Menschen mit Behinderung besser vor Gewaltkriminalität zu schützen. Bei Gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) und Schwerem Raub (§ 250 StGB) wollen die Koalitionäre ein solches Merkmal prüfen. Bei der Gefährlichen Körperverletzung wollen sie zudem die Hochstufung zu einem Verbrechen für Fälle prüfen, in denen die Tat mit Hilfe „einer Waffe oder eines Messers beziehungsweise mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen wird (Zeilen 2927 ff.). Der Straftatbestand der „Nachstellung“ (§ 238 StGB) soll um die Verwendung von GPS-Trackern ergänzt (Zeile 2924 f.) und sein Strafrahmen verschärft werden (Zeile 2922). Hersteller von Tracking-Apps werde man verpflichten, das Einverständnis der Gerätebesitzer regelmäßig abzufragen (Zeile 2925 ff.). Den „strafrechtlichen Schutz von Einsatz- und Rettungskräften, Polizisten sowie Angehörigen der Gesundheitsberufe“ will man „verschärfen“ (Zeilen 2861 ff.) und Angriffe härter und schneller bestrafen (Zeilen 3792 f.). Für „Kommunalpolitiker sowie für das Allgemeinwohl Tätige“ soll eine Erweiterung des Schutzes geprüft werden (Zeilen 2863 f.). Zugleich will man für einen besseren Schutz u.a. von Mandatsträgern, Rettungs- und Einsatzkräften sowie Polizisten das Melderecht überarbeiten (Zeilen 2714 f.) und die bundesweite Ansprechstelle zum Schutz von kommunalen Amts- und Mandatsträgern fortführen (Zeilen 3791 f.).
Änderungen beim Straftatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB) sind im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen (s. aber zur Geldwäschebekämpfung unten bei 3. und 4.).
Illegales Glücksspiel soll gemeinsam mit den Ländern besser bekämpft werden (Zeile 2901). Zum Straftatbestand der Unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels (§ 284 StGB) äußert sich der Koalitionsvertrag nicht (zu der in der letzten Legislaturperiode diskutierten Aufhebung von § 284 StGB s. Gierok / Tsambikakis, HRRS 2024, 42; Kümmel, wistra 2024, 276). Zu Änderungen im materiellen Umweltstrafrecht verhält sich der Koalitionsvertrag ebenfalls nicht. Die Koalition will sich aber in einem „Nationalen Aktionsplan“ auf Ziele und Maßnahmen für eine verstärkte Bekämpfung von Umweltkriminalität verständigen und sich für eine verstärkte europäische und internationale Zusammenarbeit einsetzen (Zeilen 2869 ff.; zur EU‑Richtlinie Umweltstrafrecht s. Busch, wistra 2024, Register S. 31, 32 f.; Pfohl, ZWH 2025, 1, 45). Das Umwelt-Informationsgesetz will man „verschlanken“ (Zeile 1355). Im Zusammenhang mit der Umweltkriminalität wird auch die Organisierte Kriminalität genannt („Umweltkriminalität ist eines der wichtigsten Betätigungsfelder für die Organisierte Kriminalität ...“, Zeilen 2870 f.), die ansonsten nur noch bei der Vermögensabschöpfung (Zeilen 2660 ff.; s. unten bei 4.) angesprochen wird.
b) Jugendstrafrecht
Der gestiegenen Kinder- und Jugendkriminalität wollen die Koalitionäre entgegenwirken. Eine Studie soll Ursachen erforschen und auch gesetzgeberische Handlungsoptionen erfassen (Zeilen 2943 ff.). Die angemessene Aufarbeitung von Taten sei sowohl für Opfer als auch Täter wichtig (Zeilen 2944 ff.). Der Koalitionsvertrag bezieht sich zudem auf die Empfehlungen der Arbeitsgruppe zur Optimierung des Rechts der Vermögensabschöpfung (Zeilen 2875 ff.; s. unten bei 4.), die auch Änderungen des Jugendstrafrechts vorsehen.
c) Nebenstrafrecht
Das AWG soll zeitnah novelliert werden mit dem Ziel eines Paradigmenwechsels bei Ausfuhrgenehmigungen (Zeilen 275 ff.). Statt durchgängiger Prüfungen und Exportgenehmigungen strebt die Koalition stichprobenartige Kontrollen an und will entdeckte Verstöße empfindlich ahnden (Zeilen 291 ff.). Die Sanktionen aufgrund des russischen Angriffskriegs will man weiterhin effektiv durchsetzen (Zeilen 287 ff.).
Breiteren Raum nimmt die Bekämpfung von illegaler Beschäftigung ein. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit solle gestärkt werden, heißt es gleich an drei Stellen: einmal bei „Arbeit und Soziales“ (Zeilen 526 f.) und zweimal bei „Haushalt, Finanzen und Steuern“ (Zeilen 1520, 1693). Eine bessere digitale Vernetzung soll Kontrollen bürokratiearm und effektiv machen (Zeilen 528 f.). Entsprechende Regelungen enthielt der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung und Digitalisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung (BT-Drucks. 20/13956; s. dazu Busch, wistra 2024, Register S. 71, wistra 2025, Heft 2 R9), der der Diskontinuität anheimgefallen ist. Vorgesehen war darin auch die Aufnahme von Friseursalons in den Katalog der für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung besonders anfälligen Branchen, die sich jetzt im Koalitionsvertrag (Zeile 529) wiederfindet. Die in diesem Gesetzentwurf ebenfalls vorgesehene Hochstufung des Herstellens und Inverkehrbringens von unrichtigen Belegen von einer Ordnungswidrigkeit (§ 8 Abs. 4, 5 SchwarzArbG) zu einer Straftat erwähnt der Koalitionsvertrag dagegen nicht.
Eine ergebnisoffene Evaluierung der Cannabis-Legalisierung will man im Herbst 2025 durchführen (Zeilen 2857 ff.).
Der Strafrahmen bei Zuwiderhandlungen gegen das Gewaltschutzgesetz (der nach dessen § 3 derzeit bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe beträgt) soll verschärft werden (Zeilen 2921 f.). Außerdem will man „ein umfassendes Digitales Gewaltschutzgesetz“ schaffen, um die Rechtsstellung Betroffener zu verbessern und die Sperrung auch anonymer Hass-Accounts mit strafbaren Inhalten zu ermöglichen (Zeilen 2936 ff.).
Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ein wirksamer Steuervollzug seien für die Sicherung der Einnahmen und die Handlungsfähigkeit des Staates unerlässlich, bekräftigt der Koalitionsvertrag (Zeilen 1507 f.). Notwendige weitere gesetzliche Maßnahmen hierzu werde man prüfen (Zeile 1507 ff.; zur Telekommunikationsüberwachung s. Zeilen 1512 ff. und unten bei 3.). Auch weitere Maßnahmen „zur Vermeidung etwaiger unberechtigter Vergünstigungen bei der Dividendenbesteuerung (‚Cum-Cum-Geschäfte‘)“ sollen geprüft werden (Zeilen 1515 f.). Die Bonpflicht werde abgeschafft und für Geschäfte mit einem Umsatz von jährlich über 100.000 € eine Registrierkassenpflicht eingeführt (Zeilen 1921 f.). Defiziten bei der geltenden Registrierkassenpflicht trage man im Kontext einer Evaluierung Rechnung (Zeilen 1509 ff.). Der sich wie ein Leitmotiv durch den gesamten Koalitionsvertrag ziehende und nach dem Willen der Koalitionäre zu forcierende „Bürokratierückbau“ soll „Standards zur Verhinderung von Steuerbetrug“ nicht absenken (Zeilen 1952 f.; zur Kritik der Bürokratiekritik s. Küppers, Merkur 2025, S. 83).
Während der Koalitionsvertrag von 2021 eine Überführung von Teilen des Tierschutzes in das Strafrecht und eine Erhöhung des Strafmaßes angestrebt hatte, ist jetzt nur noch allgemein von einer Stärkung des Tierschutzes die Rede (Zeilen 1299 ff., 1315 ff.).
Die Koalition will sich dafür einsetzen, dass das Verbrechen der Aggression (vgl. § 13 Völkerstrafgesetzbuch ) ohne Einschränkungen in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs aufgenommen wird.
Die Reform der Mietwuchervorschrift im WiStG 1954 sowie die Bußgeldbewehrung von Verstößen gegen die Mietpreisbremseregelungen soll eine Expertengruppe aus Mieter- und Vermieterorganisationen bis Ende 2026 vorbereiten (Zeilen 779 ff.; zu dem der Diskontinuität anheimgefallenen Bundesratsentwurf eines Gesetzes zur besseren Bekämpfung von Mietwucher [BT-Drucks. 20/1239], s. Busch, wistra 2024, Register S. 45). Die Mietpreisbremse selbst soll für vier Jahre verlängert werden (Zeile 770).
Die Regelungen zur Verbandsgeldbuße (§§ 30, 130 OWiG) werden anders als in den beiden vorangegangenen Koalitionsverträgen nicht angesprochen.
3. Eingriffsbefugnisse
„Wir müssen unseren Ermittlern die notwendigen Ermittlungsbefugnisse zur Verfügung stellen. Daher weiten wir die Straftatenkataloge der §§ 100a ff. StPO soweit erforderlich aus“, heißt es im Koalitionsvertrag (Zeile 2837 ff.). Zugleich sollen die „Sicherheitsbehörden ... in einer zunehmend digitalisierten Welt zeitgemäße, digitale Befugnisse erhalten, um den heutigen sicherheitspolitischen Herausforderungen begegnen zu können“ (Zeilen 2848 ff.; die Einspar- und Stellenabbauvorgaben des Koalitionsvertrags gelten für die Sicherheitsbehörden nicht [Zeilen 1680 ff.]).
Geplant ist insbesondere die Entfristung der Telefonüberwachung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl (die Regelung würde ansonsten zum 1.1.2030 außer Kraft treten; s. auch die Evaluierung der Regelung durch das BMJ [BT-Ausschussdrucks. 20{6}88]). Bei besonders schweren Fällen der bandenmäßigen Steuerhinterziehung soll die Befugnis zur „Telefonüberwachung“ erweitert werden. Der geltende § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO lässt eine Telekommunikationsüberwachung bei bandenmäßiger Hinterziehung von Umsatz- oder Verbrauchssteuern (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 AO) zu. Bei sonstigen Steuern muss zur bandenmäßigen Begehungsweise noch ein großes Ausmaß (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO) der Hinterziehung dazukommen (zu dem Bundesratsentwurf eines „Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung – Gesetz zur umfassenden Verfolgung der organisierten Steuerhinterziehung“ [BR-Drucks. 20/1518], der eine Abschaffung dieser Beschränkung anstrebte und der Diskontinuität anheimgefallen ist, s. Busch, wistra 2022, Register S. 57; wistra 2025, Heft 2 R11). Bei Geldwäschestraftaten sollen die Befugnisse zur Telekommunikationsüberwachung und zur Online-Durchsuchung (§§ 100a, 100b StPO) zukünftig nicht mehr voraussetzen, dass die Geldwäschevortat eine Katalogtat ist (Zeilen 2839 ff.). Nach geltendem Recht muss die Vortat eine der in den § 100a Abs. 2 StPO bzw. § 100b Abs. 2 Nr. 1 bis 7 StPO genannten schweren Straftaten sein (§§ 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. m, 100b Abs. 2 Nr. 1 Buchst. m StPO).
Die Koalition will weiter eine verhältnismäßige und europa- und verfassungsrechtskonforme dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern einführen, um diese einem Anschlussinhaber zuordnen zu können (Zeilen 2630 ff.). Die Quellen-TKÜ soll „im Rahmen ihrer begrenzten Zuständigkeit“ der Bundespolizei „zur Bekämpfung schwerer Straftaten ... ohne Zugriff auf retrograd gespeicherte Daten“ ermöglicht werden (Zeilen 2632 f.). Die Funkzellenabfrage (§ 100g Abs. 3 StPO) will der Koalitionsvertrag „wieder umfassender ermöglichen“ (s. dazu BGH wistra 2024, 392, wonach die Funkzellenabfrage den Verdacht einer besonders schweren Straftat nach § 100g Abs. 2 StPO voraussetzt und eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung nach § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO nicht ausreichend ist; Singelnstein, NJW 2024, 2339).
Den Einsatz von automatisierten Kennzeichenlesesystemen im Aufzeichnungsmodus will der Koalitionsvertrag erlauben (Zeilen 2637 f.). Zu Fahndungszwecken ist eine automatische Kennzeichenerfassung bereits nach dem geltenden § 163g StPO zulässig; nicht zulässig ist es, die erhobenen Daten zu speichern und für einen Abgleich mit anderen Daten zu nutzen (s. dazu BT-Drucks. 19/27654, 141, 150; BT-Drucks. 19/30517, 16 f.). Außerdem sollen die Strafverfolgungsbehörden „unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen bei schweren Straftaten eine retrograde biometrische Fernidentifizierung zur Identifizierung von Täterinnen und Tätern“ vornehmen können (Zeilen 2850 ff.). Gemeint sein dürfte damit eine Auswertung von Aufzeichnungen aus Videoüberwachungen. Die Videoüberwachung selbst befürwortet die Koalition „an Kriminalitätsschwerpunkten“ zur nachträglichen Identifizierung von mutmaßlichen Tätern (Zeilen 2853 ff.).
Mit Blick auf das geplante digitale Gewaltschutzgesetz sollen Online-Plattformen „Schnittstellen zu Strafverfolgungsbehörden bereitstellen, damit relevante Daten automatisiert und schnell abgerufen werden können“ (Zeilen 2939 f.).
„Sicherheitsbehörden“ sollen zudem für bestimmte Zwecke eine Befugnis zur Vornahme einer automatisierten (KI‑basierten) Datenanalyse erhalten (Zeilen 2850 ff.). So sollen sie „unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben und digitaler Souveränität, die automatisierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels Künstlicher Intelligenz, vornehmen können“ (Zeilen 2634 ff.).
Zur Bekämpfung von Sozialleistungsbetrug soll es einen „vollständigen Datenaustausch zwischen Sozial‑, Finanz- und Sicherheitsbehörden“ geben (Zeilen 523 ff.).
Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz will die Koalition insbesondere bei der Bekämpfung von Cyberkriminalität, Spionage und Sabotage stärken (Zeilen 2648 f.). Das Bundeskriminalamt soll zudem eine Rechtsgrundlage für das Testen und Trainieren von IT‑Produkten erhalten (Zeilen 2855 f.).
Beim Recht der Nachrichtendienste des Bundes „einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen für einen effektiven und effizienten Datenaustausch zwischen den Diensten und anderen Behörden (Ausweitung von Übermittlungsbefugnissen und Prüfung von Löschfristen)“ strebt die Koalition eine „grundlegende verfassungskonforme, systematische Novellierung“ an (Zeilen 2653 f.).
4. Geldwäsche, Finanzkriminalität und Vermögensabschöpfung
Geldwäsche und Finanzkriminalität will die Koalition „entschieden bekämpfen“ und dazu Kompetenzen des Bundes im Bereich der (nicht näher definierten) Finanzkriminalität bündeln (Zeilen 1544 ff.). Verbessert werden sollen insbesondere Austausch und Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie mit nationalen und internationalen Organisationen, der EU und der neuen europäischen Aufsichtsbehörde AMLA (Zeilen 1548 ff.).
Lücken im Transparenzregister, das die wirtschaftlich Berechtigten u.a. von juristischen Personen ausweist, sollen geschlossen werden (Zeile 1550). Wo wirtschaftlich Berechtigte nicht zu ermitteln sind, dürfen geldwäscherechtlich Verpflichtete keine Rechtsgeschäfte mehr mit Beträgen von über 10.000 € tätigen. Bargeld soll als gängige Zahlungsform erhalten bleiben (Zeile 1578; zu den in der letzten Legislaturperiode beschlossenen und den von der EU vorgegebenen teilweisen Barzahlungsverboten s. Busch, wistra 2025, Heft 2 R9).
„Verdächtige Vermögensgegenstände“ sollen zukünftig in einem „administrativen, verfassungskonformen Vermögensermittlungsverfahren“ sichergestellt werden können, wenn sie von erheblichem Wert sind und sich Zweifel an ihrem legalen Erwerb nicht ausräumen lassen (Zeilen 1554 ff.). In einem Klammerzusatz wird das geplante Instrument als „Suspicious Wealth Order“ bezeichnet (Zeile 1556), wobei nicht ganz klar wird, worauf dieses Label verweist (zur „Unexplained Wealth Order“ s. Brun / Hauch / Julien / Owens / Hur, Unexplained Wealth Orders, 2023; zu den Begrifflichkeiten s. Royal United Service Institute, Euro SIFMANet: European Sanctions and Illicit Finance Monitoring and Analysis Network – Berlin Report, 2022, S. 7; zu dem BMF-Referentenentwurf eines Vermögensverschleierungsbekämpfungsgesetzes s. Busch, wistra 2024, Register S. 49, wistra 2025, Heft 2 R12).
An die Sicherstellung nach dem neuen Verfahren soll sich offenbar eine Einziehung anschließen können. Dazu sollen die „bestehenden Vermögenseinziehungsinstrumente“ fortentwickelt und um ein Einziehungsverfahren für Vermögensgegenstände ungeklärter Herkunft erweitert werden (Zeilen 1556 f.). Neben diesen Vorgaben, die sich im Unterabschnitt „2.1. Haushalt, Finanzen und Steuern“ finden, sieht der Koalitionsvertrag im Unterabschnitt 3.1. („Innen“) sowie – „zum Kampf gegen „Organisierte Kriminalität und gegen Banden- und sogenannte Clankriminalität“ – im Unterabschnitt 3.2. („Recht“) jeweils eine „vollständige Beweislastumkehr“ für das „Einziehen von Vermögen unklarer Herkunft“ vor (Zeilen 2660 ff., 2875 ff.).
Der Koalitionsvertrag will außerdem die „Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Optimierung des Rechts der Vermögensabschöpfung“ umsetzen (Zeilen 2877 f.) und bezieht sich damit auf die umfangreichen und komplexen Erweiterungsvorschläge des mehr als 500 Seiten umfassenden Berichts der Arbeitsgruppe (zu dem Bericht s. Busch, wistra 2024, Register S. 73, wistra 2025, Heft 2 R12).
Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
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