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Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz

aus wistra 4/2024

Das Bundeskabinett hat am 6.3.2024 den von Bundesjustizminister Buschmann vorgelegten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz beschlossen und dem Bundesrat zugeleitet. Durch Rechtsanpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung soll die bereits fortgeschrittene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter gefördert werden. Im Strafverfahrensrecht sollen Erleichterungen bei der Strafantragstellung und weiteren derzeit bestehenden Schriftformerfordernissen geschaffen werden. Außerdem sollen Verfahrensbeteiligte an der Revisionshauptverhandlung im Wege der Videokonferenz teilnehmen können.
 

1. Hybridaktenführung

Ab dem 1.1.2026 müssen alle neu angelegten Akten in der Justiz elektronisch geführt werden. Davor angelegte Papierakten sollen nach dem Gesetzentwurf aber in Hybridakten weitergeführt werden dürfen (für das Strafverfahren s. Art. 1 Nr. 1 RegE – § 32 Ia StPO-E). Hybridakten bestehen aus elektronischen Teilen und Papierteilen und sind bislang grundsätzlich nicht erlaubt. Das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017 (BGBl. I 2208) hatte vielmehr vorgesehen, dass bei einer elektronischen Aktenführung der gesamte bisherige Akteninhalt (nach-)digitalisiert werden muss. Diese Regelung habe sich im Lauf der Pilotierung als nicht sinnvoll erwiesen. Deshalb sollen Bundesregierung und Landesregierungen künftig für ihre Bereiche bestimmen können, dass Akten, die bereits in Papier geführt werden, in elektronischer Form weitergeführt werden können, ohne dass die bereits bestehenden Papierteile der Akte nachdigitalisiert werden müssen. Die Hybridaktenführung solle den Umstieg auf die elektronischen Aktenführungen beschleunigen und in der Praxis zu mehr Akzeptanz für die E-Akte beitragen. Altverfahren durch Einscannen der Papierakten zu digitalisieren, sei aufwendig und könne mit der vorhandenen Personalausstattung im mittleren Dienst kaum geleistet werden. Bei Altverfahren beanspruche die Digitalisierung zudem etwa zehnmal mehr Speicherplatz als die Aktenführung mit ausschließlich nativ elektronischen Dokumenten, was zu hohen Kosten führe und aufgrund der großen Datenlast die Systeme störungsanfälliger mache (RegE, S. 51). Auch während der Pilotierungsphase der elektronischen Akte bis zum 31.12.2025 soll die Weiterführung elektronisch geführter Akten als Papierakten ermöglicht werden (Art. 2 RegE – § 15 II EGStPO-E).

Verschlusssachen, die höher eingestuft sind als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, sollen für einen Übergangszeitraum von zehn Jahren neben der elektronischen Akte weiterhin in Papierform angelegt, übermittelt und geführt werden dürfen. Bei Verschlusssachen, die (nur) als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft sind, soll während dieser Übergangszeit weiterhin die Übermittlung in Papierform zulässig sein (Art. 2 RegE – § 15 I EGStPO).


2. Übermittlung von Scans bei schriftlich einzureichenden Anträgen und Erklärungen

Ein neuer § 32 III StPO-E (Art. 1 Nr. 2 Buchst. b RegE) soll es Verteidigerinnen und Verteidigern sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten erlauben, Dokumenten, die von einem Beschuldigten, einem anderen Verfahrensbeteiligten oder einen Dritten schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen sind, einzuscannen und formwahrend elektronisch an das Gericht zu übermitteln.


3. Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten in Straf- und Bußgeldsachen

Nach dem geltenden § 32d S. 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage zwingend als elektronisches Dokument übermitteln. Ansonsten sind die entsprechenden Erklärungen unwirksam. Diese Regelung soll zukünftig auch für die Rücknahme der Berufung und der Revision sowie den Einspruch gegen den Strafbefehl und dessen Rücknahme gelten (Art. 1 Nr. 3 RegE). Für das Bußgeldverfahren soll der Verweis auf die StPO klarer gefasst werden (Art. 8 Nr. 4 RegE – § 110c 2 OWiG-E).


4. Elektronische Strafanzeige und elektronischer Strafantrag

Die Anzeige einer Straftat und der Strafantrag können nach § 158 I 1, 2 StPO bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und den AG „mündlich oder schriftlich“ angebracht werden. Die mündliche Strafanzeige ist zu beurkunden. Bei Straftaten, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, muss der Strafantrag gem. § 158 II StPO bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich angebracht werden. Diese Vorschriften des geltenden Rechts werden allgemein dahin ausgelegt, dass die Strafanzeige (§ 158 I StPO) – entgegen dem Wortlaut – nicht nur mündlich oder schriftlich, sondern formlos, also etwa auch telefonisch oder per E‑Mail, erstattet werden kann, während der Strafantrag nur schriftlich wirksam ist (falls er nicht zu Protokoll gegeben wird; RegE, S. 37). Die Schriftform verlange nach der Rechtsprechung grundsätzlich, dass die antragstellende Person unterschreibt (RegE, S. 37).

Der Gesetzentwurf will zunächst in § 158 I 1 StPO die Wörter „mündlich oder schriftlich“ streichen und so klarzustellen, dass auch künftig jede Form der Kontaktaufnahme gegenüber den zuständigen Stellen die Voraussetzungen des § 158 I StPO erfüllt und die „einfache Strafanzeige“ auch elektronisch formlos gestellt werden kann. Die aufnehmende Person muss sie lediglich entsprechend protokollieren oder in sonstiger Weise dokumentieren. Bei schriftlich oder elektronisch eingereichten Strafanzeigen oder -anträgen erfolgt deren Dokumentation dadurch, dass sie zum Ermittlungsvorgang oder zur Akte genommen werden. § 158 I 2 StPO soll dazu wie folgt lauten: „Die Anzeige und der Strafantrag sind durch die aufnehmende Stelle zu protokollieren oder auf sonstige Weise zu dokumentieren.“

Ist ein förmlicher Strafantrag notwendig (bisheriger § 158 II StPO), sollen – entsprechend der derzeitigen Rechtsprechung zum nicht digitalen Strafantrag – die Schriftform und ihr elektronisches Äquivalent nach § 32a StPO künftig nicht mehr erforderlich sein, sofern die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person aus der Erklärung und den Umständen ihrer Abgabe eindeutig ersichtlich sind. Damit soll künftig ein Strafantrag per E‑Mail oder Online-Formular (z.B. bei einer Internetwache) möglich sein („Strafantrag mit wenigen Klicks“). Dafür soll § 158 II StPO wie folgt gefasst werden: „Bei Straftaten, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, müssen die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person sichergestellt sein“.


5. Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung in Strafsachen bei umfänglichen Akten

Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren erfolgt die Übermittlung elektronischer Akten zwischen aktenführenden Behörden und Gerichten untereinander über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP). Für den Fall, dass die Mengenbeschränkungen überschritten werden und daher eine elektronische Übermittlung über das EGVP nicht erfolgen kann, will der Entwurf die Übermittlung auf einem physischen Datenträger ermöglichen und dazu die Strafaktenübermittlungsverordnung (Art. 39 RegE), die Dokumentenerstellungs- und -übermittlungsverordnung (Art. 40 RegE) und die Bußgeldaktenübermittlungsverordnung (Art. 40 RegE) ändern.


6. Audiovisuelle Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung

Nach geltendem Recht ist eine Audiovisuelle Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung nicht zulässig (RegE, S. 38). Der Entwurf will dies ändern, so dass Angeklagte, ihre gesetzlichen Vertreterinnen und Vertreter, Verteidigerinnen und Verteidiger sowie die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft auf ihren jeweiligen Antrag hin durch die Nutzung von Videokonferenztechnik auch von einem anderen Ort aus an der Revisionsverhandlung teilnehmen können. Das gleiche soll gelten für Nebenklägerinnen und Nebenkläger, Nebenklageberechtigte sowie die Personen, die von dem Termin zu benachrichtigen sind (§ 397 II 3, § 404 II und § 406h II 2, § 429 I, § 444 II 1 StPO).


Der Gesetzentwurf (Art. 1 Nr. 9) sieht dazu vor, § 350 StPO folgende Abs. 3 und 4 anzufügen:

(3) Dem Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter, dem Verteidiger und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft sowie dem Nebenkläger, dem Nebenklageberechtigten und den Personen, die nach § 397 Abs. 2 Satz 3, § 404 Abs. 3, § 406h Abs. 2 Satz 2, § 429 Abs. 1 und § 444 Abs. 2 Satz 1 vom Termin zu benachrichtigen sind, kann der Vorsitzende auf ihren jeweiligen Antrag die Anwesenheit an einem anderen Ort gestatten, wenn die Hauptverhandlung zeitgleich in Bild und Ton an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Die Gestattung soll mit der Maßgabe erfolgen, dass sich die Verfahrensbeteiligten in einem Dienstraum oder in einem Geschäftsraum eines Verteidigers oder Rechtsanwalts aufhalten. Sieht das Gericht in den Fällen des Abs. 2 Satz 3 von einer Vorführung des Angeklagten ab, so ist diesem auf seinen Antrag die Teilnahme an der Hauptverhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung zu gestatten. Liegen zwischen dem Eingang des Antrags nach Satz 3 bei Gericht und dem Hauptverhandlungstermin nicht mindestens drei Werktage, kann der Antrag vom Vorsitzenden abgelehnt werden. Die Entscheidung des Vorsitzenden nach den Sätzen 1 bis 4 ist unanfechtbar.

(4) Eine Aufzeichnung der Übertragung ist nicht zulässig. Hierauf sind die Verfahrensbeteiligten spätestens zu Beginn der Bild- und Tonübertragung hinzuweisen.

In der Rechtsmittelinstanz bestehe anders als in der Tatsacheninstanz kein zwingender Grund für eine körperliche Anwesenheit, weil in aller Regel ausschließlich Rechtsfragen behandelt würden und kein persönlicher Eindruck von einer Person vermittelt oder aufgenommen werden müsse. Die Möglichkeit, an der Revisionshauptverhandlung auch per Videokonferenz zugeschaltet zu werden, könne den professionellen Verfahrensbeteiligten zeit- und ressourcenintensive Anreisen und in Haft befindlichen Angeklagten, die an der Revisionshauptverhandlung teilnehmen möchten, einen tage- bis wochenlangen Gefangenentransport über verschiedene Justizvollzugsanstalten zum Zwecke der Überstellung ersparen. Sie ermögliche eine flexiblere Terminierung und Durchführung der Revisionshauptverhandlung auch bei allgemeinen Hindernissen (wie etwa Naturkatastrophen, Flug- und Bahnstreiks, Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von Viren). Zugleich könne das Recht auf Mitwirkung inhaftierter Angeklagter an der Revisionshauptverhandlung dadurch gestärkt werden, dass ihnen ein Anspruch auf Teilnahme per Videokonferenz in denjenigen Fällen gewährt werde, in denen das Gericht nach seinem Ermessen gem. § 350 II 3 StPO von einer Vorführung absieht (RegE, S. 38 f.).

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.


Verlag C.F. Müller

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