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EU-Richtlinie zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der EU

aus wistra 3/2024

Unterhändler von Rat und Europäischem Parlament haben am 12.12.2023 eine Einigung über den von der Europäischen Kommission am 2.12.2022 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union (COM[2022] 684 final; BR-Drucks. 643/22) erzielt (Ratsdokumente 16758/23 und 16758/23 Cor). Der Kompromiss muss noch von beiden Organen bestätigt werden und das förmliche Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEUV) durchlaufen, womit im März 2024 zu rechnen sein dürfte. Nach ihrem Inkrafttreten (Art. 20) wird die Richtlinie innerhalb nur eines Jahres umzusetzen sein (Art. 18). Bundesjustizminister Buschmann hatte sich gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Dupond-Moretti dafür ausgesprochen, dass die Europäische Staatsanwaltschaft für die Verfolgung der nach der neuen Richtlinie zukünftig harmonisierten strafbaren Verstöße gegen EU-Sanktionen zuständig sein soll (LTO vom 28.11.2022).

Zum Richtlinienvorschlag s. Busch, wistra 2023, Register S. 31; Stellungnahme des Bundesrats nach §§ 3, 5 EUZBLG vom 10.2.2022 (BR-Drucks. 643/22 [Beschluss]) und Erwiderung der Kommission (zu 643/22 [Beschluss]); Stellungnahme der BRAK (Stellungnahme Nr. 04/2023), Stellungnahme des DAV (Stellungnahme Nr. 03/2023); Lehner, UKuR 2023, 105, 106; Sparfeld, UKuR 2022, 709.

Zur Rechtsgrundlage s. Busch, wistra 2022 Register S. 57, 67; Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses des Deutschen Bundestages für Angelegenheiten der Europäischen Union (Protokoll-Nr. 2018).

Der Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament ist der (in den Regelungen zum EU-Gesetzgebungsverfahren nicht ausdrücklich vorgesehene) Trilog vorausgegangen. Diesem „Dreiergespräch“ von Rat, Europäischem Parlament und Kommission lagen der Vorschlag der Kommission, die vom Rat am 9.6.2023 festgelegte Allgemeine Ausrichtung (Ratsdokument 16758/23) und der Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE-Ausschuss) des Europäischen Parlaments vom 7.7.2023 (EP-Dokument A9-0235/2023) zugrunde. Das sich nunmehr anschließende förmliche Gesetzgebungsverfahren sieht vor, dass das Europäische Parlament seinen Standpunkt in erster Lesung festlegt und an den Rat übermittelt (Art. 294[3] AEUV). Billigt der Rat diesen Standpunkt, ist die Richtlinie in der Fassung des Europäischen Parlaments angenommen (Art. 294[4] AEUV). Der Rat (Ausschuss der Ständigen Vertreter) hat sich bei der Bestätigung des Trilog-Kompromisses am 20.12.2023 zugleich darauf festgelegt, dass er die auf Grundlage des Kompromisses in erster Lesung erfolgende Positionierung des Europäischen Parlaments billigen werde (Ratsdokument 16758/24).

Der Kompromisstext wird außerdem von Rat und Europäischem Parlament einer sprachjuristischen Prüfung unterzogen, bei der insbesondere die Nummerierung von Erwägungsgründen und Artikeln bereinigt wird. Zugleich wird der Text in die anderen Amtssprachen der EU übersetzt. Dieser Bericht beruht auf dem vorläufigen und nur in englischer Sprache vorliegenden Kompromisstext (Ratsdokument 16758/23 + Korrigendum).

Gelten soll die Richtlinie für Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der EU, die auf Grundlage von Art. 29 EUV oder Art. 215 AEUV erlassen werden (Art. 2; Art. 2a[a]). Neben der Verpflichtung zur Schaffung bestimmter Straftatbestände mit Mindesthöchststrafen (Art. 3, 5) sind Vorgaben enthalten zu Teilnahme und Versuch (Art. 4), Verantwortlichkeit und Sanktionierung juristischer Personen (Art. 6, 7), erschwerenden und mildernden Umständen (Art. 8, 9), Sicherstellung und Einziehung (Art. 10), Strafanwendungsrecht (Art. 11), Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung (Art. 12), Koordinierung und Zusammenarbeit (Art. 13, 16), Hinweisgeberschutz (Art. 14), Ermittlungsinstrumenten (Art. 15), Geldwäschestrafbarkeit (Art. 17) und Statistiken (Art. 19[2][3]) sowie Evaluierung und ggf. Novellierung der Richtlinie (Art. 19a).
 

1. Straftatbestände

Nach Art. 3(1)(a)-(i) müssen die Mitgliedstaaten folgende Verstöße bei Vorsatz unter Strafe stellen:

a) direkte oder indirekte Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen an eine benannte (= gelistete) Person, Organisation oder Einrichtung oder zu deren Gunsten unter Verstoß gegen ein durch eine restriktive Maßnahme der EU festgelegtes Verbot;

b) Versäumnis, Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen, die Eigentum oder Besitz einer benannten Person, Organisation oder Einrichtung sind oder von ihnen gehalten oder kontrolliert werden, einzufrieren unter Verstoß gegen eine durch eine restriktive Maßnahme der EU auferlegte Verpflichtung;

c) Ermöglichung der Einreise benannter natürlicher Personen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder ihrer Durchreise durch dieses Hoheitsgebiet unter Verstoß gegen ein durch eine restriktive Maßnahme der EU festgelegtes Verbot;

d) Abschluss oder Fortsetzung von Transaktionen mit einem Drittstaat, Einrichtungen eines Drittstaats oder sich im Eigentum oder unter der Kontrolle eines Drittstaats oder von Einrichtungen eines Drittstaats befindenden Organisationen und Einrichtungen, die durch restriktive Maßnahmen der Union verboten oder eingeschränkt sind, einschließlich der Vergabe und fortgesetzten Erfüllung von öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen;

e) Handel mit, Einfuhr, Ausfuhr, Verkauf, Kauf, Verbringung, Durchfuhr oder Beförderung von Waren sowie das Erbringen von Vermittlungsdienstleistungen, technischer Hilfe oder anderen Dienstleistungen in Zusammenhang mit diesen Waren unter Verstoß gegen ein durch eine restriktive Maßnahme der EU festgelegtes Verbot;

f) Erbringung von Finanzdienstleistungen oder Finanzdiensten, die durch restriktive Maßnahmen der EU verboten oder eingeschränkt sind;

g) Erbringung anderer Dienste (einschließlich Rechtsberatung; s. Erwägungsgrund 4h), die durch restriktive Maßnahmen der Union verboten oder eingeschränkt sind;

h) Umgehung restriktiver Maßnahmen durch:

  • das Nutzen oder Übertragen an einen Dritten von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen oder das sonstige Verfügen über Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen, die sich unmittelbar oder mittelbar im Eigentum, im Besitz oder unter der Kontrolle einer benannten Person, Organisation oder Einrichtung befinden und die gemäß einer restriktiven Maßnahme der Union eingefroren werden sollten, um die Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen zu verschleiern (i);
  • das Geben falscher oder irreführender Auskünfte, um die Tatsache zu verschleiern, dass eine benannte Person, Organisation oder Einrichtung der eigentliche Eigentümer oder Begünstigte von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen ist, die gemäß einer restriktiven Maßnahme der Union eingefroren werden sollten (ii);
  • Verstoß einer benannten natürlichen Person oder des Vertreters einer benannten Organisation oder Einrichtung gegen eine durch restriktive Maßnahmen der EU auferlegte Verpflichtung, Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats zu melden, die in ihrem Eigentum oder Besitz sind oder von ihr gehalten oder kontrolliert werden (iii);
  • Verstoß gegen eine durch restriktive Maßnahmen der EU auferlegte Verpflichtung, bei der Ausübung beruflicher Pflichten erlangte Informationen über eingefrorene Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen oder Informationen über Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, die Eigentum oder Besitz von benannten Personen, Organisationen oder Einrichtungen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden und die nicht eingefroren wurden, an die zuständigen Verwaltungsbehörden zu übermitteln (iv);

Weggefallen ist die im Kommissionsvorschlag (dort Art. 3[2][v]) vorgesehene Strafbewehrung der Versäumnis, mit den zuständigen Verwaltungsbehörden auf deren begründetes Ersuchen bei der Überprüfung der Informationen nach den Ziffern iii und iv zusammenzuarbeiten. Zu den Umgehungstatbeständen s. Lehner, UKuR 2023, 105.

i) Verstoß gegen Genehmigungsvorbehalte („Verletzung oder Missachtung von Bedingungen im Rahmen von Genehmigungen, die von den zuständigen Behörden für die Ausübung von Tätigkeiten erteilt wurden, die ohne eine solche Genehmigung im Rahmen einer restriktiven Maßnahme der Union verboten oder eingeschränkt sind.“).

Die Merkmale „restriktive Maßnahmen der Union“, „benannte Person, Organisation oder Einrichtung“, „Gelder“, „wirtschaftliche Ressourcen“, „Einfrieren von Geldern“ und „Einfrieren von wirtschaftlichen Ressourcen“ definiert Art. 2a(a)-(f).

Die Leichtfertigkeitsstrafbarkeit beschränkt Art. 3(3) auf Verstöße gegen Handelsbeschränkungen nach Art. 3(1)(e), soweit Güter, die sich auf der Gemeinsamen Militärgüterliste der EU befinden, oder Dual-Use-Güter gem. Anhang I und IV der Verordnung (EU) 2021/821 betroffen sind. Nach dem Willen der Kommission hätten die Mitgliedstaaten dagegen sämtliche leichtfertigen Verstöße mit Ausnahme der Verschleierungstatbestände (Art. 3[1][h]) und des Verstoßes gegen Genehmigungsvorbehalte (Art. 3[1][i]) unter Strafe stellen müssen (Art. 3[3] des Kommissionsvorschlags). Trotz Unterstützung des Europäischen Parlaments (das sich sogar für eine Strafbarkeit bei einfacher Fahrlässigkeit ausgesprochen hatte) konnte sich die Kommission damit nicht durchsetzen.

Ein dem deutschen Recht fremder und im Kommissionsvorschlag nicht vorgesehener strafbarkeitsbegründender Schwellenwert ist optional in Art. 3(2a)(2b) vorgesehen. Bei allen Verstößen außer der Einreise- bzw. Durchreiseermöglichung nach Art. 3(1)(c) können die Mitgliedstaaten von einer Pönalisierung absehen, wenn die betroffenen Gelder, wirtschaftlichen Ressourcen, Güter, Dienstleistungen, Transaktionen bzw. Tätigkeiten einen Wert von unter 10.000 Euro haben. Bei dem Verstoß nach Art. 3(1)(e) (Warenhandel) kommt es nicht auf diesen Schwellenwert an, wenn Güter, die sich auf der Gemeinsamen Militärgüterliste der EU befinden, oder Dual-Use-Güter gem. Anhang I und IV der Verordnung (EU) 2021/821 betroffen sind (in diesen Fällen besteht auch eine Leichtfertigkeitsstrafbarkeit nach Art. 3[3]). Bei verbundenen Taten nach Art. 3(1)(a)(b)(d)-(i) desselben Täters ist für die Überschreitung des Schwellenwertes auf die Summe der Werte aus den einzelnen Straftaten abzustellen (Art. 3[2][c]).

Der Versuch ist außer bei den Verstößen gegen Einfrierverpflichtungen nach Art. 3(1)(b), den Umgehungstatbeständen nach Art. 3(1)(h)(iii)(iv) und den Genehmigungsverstößen nach Art. 3(1)(i) ebenfalls unter Strafe zu stellen (Art. 4[2]), was etwas enger ist als im Kommissionsvorschlag.

Die Richtlinie regelt nicht nur die Verantwortlichkeit von juristischen Personen (s. dazu unten), sondern ist soweit ersichtlich auch der erste EU-Rechtsakt, der sich zu der (im deutschen Recht in § 14 StGB geregelten) Zurechnungskonstellation verhält, dass strafbarkeitsbegründende Merkmale nicht bei der handelnden natürlichen Person vorliegen, wohl aber bei der juristischen Person, für die die natürliche Person handelt. Nach dem Kommissionsvorschlag sollten Täter des Umgehungstatbestands nach Art. 3(2)(h)(iii) (Verstoß gegen Meldepflichten) die „benannten Personen, Organisationen oder Einrichtungen“ sein können, zu denen nach der Definition in Art. 2a(b) sowohl natürliche als auch juristische Personen gehören. Bereits der Rat hatte diese Formulierung in seiner Allgemeinen Ausrichtung geändert und auf die Begehung durch benannte natürliche Personen bzw. durch Vertreter von benannten Organisationen und Einrichtungen abgestellt, was der Trilog übernommen hat. Damit dürften Bedenken von Mitgliedstaaten Rechnung getragen worden sein, nach deren Strafrecht (wie in Deutschland) nur natürliche Personen (und nicht juristische Personen) selbst Straftatbestände verwirklichen können. Ist die benannte Person, Organisation oder Einrichtung keine natürliche Person, so rechnet die Richtlinie diese Eigenschaft einer handelnden natürlichen Person immer dann zu, wenn diese natürliche Person als (nicht näher definierter) Vertreter („representative“) der benannten Organisation oder Einheit handelt, während nach § 14 StGB („Handeln für einen anderen“) anzuknüpfen wäre an das Handeln als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person, als Mitglied eines solchen Organs oder als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft (Abs. 1) bzw. an die Beauftragung, einen Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, bzw. an die ausdrückliche Beauftragung, in eigener Verantwortung Inhaberaufgaben wahrzunehmen (Abs. 2).

Die Regelung zur Selbstbelastungsfreiheit in Art. 3(4) des Kommissionsvorschlags wurde gestrichen und in einen Erwägungsgrund (4ga) verschoben. Bei Art. 3(5) des Kommissionsvorschlags zum Schutz des Berufsgeheimnisses und dem dazugehörigen Erwägungsgrund 7 wurden im Trilog im Wesentlichen die Änderungen der Allgemeinen Ausrichtung übernommen. Die vom Europäischen Parlament vorgesehene Ausweitung der Ausnahme vom Berufsgeheimnisschutz auf Fälle, in denen der gut begründete und auf Tatsachen beruhende Verdacht besteht, dass ein Mandant Rechtsberatung für die Zwecke eines Verstoßes gegen restriktive Maßnahmen der EU sucht, wurde nicht übernommen. Einen Ausschluss der Strafbarkeit bei humanitärer Hilfe regelt Art. 3(6). Die im Kommissionsvorschlag ebenfalls in Art. 3(6) vorgesehene Regelung zur Straflosigkeit der Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs (wie etwa Lebensmittel und kleine Geldbeträge) ist entfallen.
 

2. Strafen für natürliche Personen

Als Höchststrafe für natürliche Personen müssen die Mitgliedstaaten für alle Straftatbestände mindestens Freiheitsstrafe vorsehen (Art. 5[2]). Die „zusätzlichen Sanktionen“ wurden (wie vom Europäischen Parlament gefordert) in Art. 5(5) einerseits erheblich erweitert, und sie umfassen nicht nur Geldstrafen, sondern u.a. auch den Entzug von Genehmigungen, Tätigkeitsverbote und die Veröffentlichung der Verurteilung. Andererseits ist die Regelung jetzt optional ausgestaltet, so dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, entsprechende Rechtsfolgen vorzusehen. Regelungsvorbild dafür ist die Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (s. dazu Busch, wistra 2022 Register S. 49, wistra 2023, Register S, 31), die auch ansonsten als Blaupause diente und auch bei zukünftigen Richtlinienvorschlägen als Regelungsmodell für Querschnittsfragen (also insbesondere für Regelungen, die in Deutschland im Allgemeinen Teil des StGB verortet sind) herangezogen werden dürfte.

Eine Mindesthöchstfreiheitsstrafe von fünf Jahren ist nach Art. 5(4)(4a) für Verstöße nach Art. 3(1)(a)(b)(d)-(g)(h)(i)(ii) und (i) anzudrohen, wenn der Wert der betroffenen Gegenstände bzw. Tätigkeiten 100.000 Euro übersteigt. Bei Straftaten nach Art. 3(1)(e) kommt es auf diesen Schwellenwert nicht an, wenn Güter betroffen sind, die sich auf der Gemeinsamen Militärgüterliste der EU befinden, oder Dual-Use-Güter gem. Anhang I und IV der Verordnung (EU) 2021/821. Eine Mindesthöchststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe ist gem. Art. 3(4aa) anzudrohen bei Straftaten nach Art. 3(1)(c). Die Straftaten nach Art. 3(1)(h)(iii)(iv) sind bei einem Schwellenwert von ebenfalls 100.000 Euro mit einer Mindesthöchststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe zu bedrohen. Bei verbundenen Taten desselben Täters sind die einzelnen Werte wiederum zusammenzuzählen (Art. 5[4b]).

Art. 8 und 9 sehen erschwerende und mildernde Umstände vor. Nach Vorbild der Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt müssen die Mitgliedstaaten zwingend aber jeweils nur eines dieser Strafzumessungskriterien in ihr nationales Recht übernehmen. Die Übernahme der weiteren Kriterien bleibt ihnen anheimgestellt.
 

3. Verantwortlichkeit und Sanktionierung juristischer Personen

Art. 6 enthält die in strafrechtlichen Richtlinien gebräuchliche Formulierung zur Verantwortlichkeit juristischer Personen bei einschlägigen Straftaten ihrer Leitungspersonen (Art. 6[1]) bzw. bei durch Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen ermöglichten einschlägigen Straftaten von Nicht-Leitungspersonen (Art. 6[2]). Die Sanktionen gegen juristische Personen sind in Art. 7 geregelt, der sich ebenfalls an der Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt orientiert. Die Sanktionen müssen – wie üblich – wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und Geldbußen oder Geldstrafen umfassen (Art. 7[1]). Nach dem Kommissionsvorschlag hätten die Mitgliedstaaten zudem folgende weitere Sanktionen vorsehen müssen: Ausschluss vom Anspruch auf öffentliche Zuwendungen oder Beihilfen, Ausschluss vom Zugang zu öffentlichen Mitteln (einschließlich des Ausschlusses von Ausschreibungsverfahren), Finanzhilfen und Konzessionen. Diese Regelung ist nun optional ausgestaltet, d.h., die Mitgliedstaaten können entsprechende Rechtsfolgemöglichkeiten schaffen, müssen dies aber nicht tun. Die bereits im Kommissionsvorschlag nur optional vorgesehenen Rechtsfolgen bleiben auch nach dem Trilogergebnis unverbindlich. Dazu gehören Tätigkeitsverbote, Entziehung von Genehmigungen, gerichtliche Aufsicht, Auflösung und Schließung von Einrichtungen. Neu hinzugekommen ist die ebenfalls optionale Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion wegen der Straftat.

Art. 7(2) legt das Mindesthöchstmaß der Geldbußen fest. Für Straftaten nach Art. 3(1)(h)(iii)(iv) beträgt es 1 % des weltweiten Gesamtumsatzes; für die übrigen Straftaten (Art. 3 [1][a]-[g][h][i][ii] und [i]) sind es 5 % (Art. 7[2][a]). Die Mitgliedstaaten können dabei entscheiden, ob sie für die Umsatzberechnung auf das Geschäftsjahr vor der Entscheidung oder vor der Tat abstellen (s. auch Erwägungsgrund 11a). Anders als noch im Kommissionsvorschlag steht den Mitgliedstaaten indes eine Umsetzungsalternative zu den umsatzbezogenen Bruchteilshöchstgrenzen zur Verfügung. Sie können stattdessen Festbetragshöchstgrenzen i.H.v. mindestens 8 Mio. Euro bzw. 40 Mio. Euro vorsehen (Art. 7[2][b]). Für Deutschland lösen beide Optionen Umsetzungsbedarf aus. Umsatzbezogene Höchstgrenzen gibt es bislang nur bei einer Unternehmensverantwortlichkeit wegen bestimmter Ordnungswidrigkeiten (s. dazu Busch, wistra 2023, Register S. 36). Für Straftaten sieht § 30 II 1 OWiG dagegen eine Festbetragshöchstgrenze von 10 Mio. Euro bzw. 5 Mio. Euro vor und bleibt damit unter den von der Richtlinie geforderten 40 Mio. Euro.

Entscheiden sich Mitgliedstaaten für umsatzbezogene Geldbußen nach Art. 7(2)(a), so können sie als Auffangregelung eine Festbetragshöchstgrenze vorsehen, müssen dies aber nicht tun, wie sich aus Art. 7(2) UA 2 ergibt. Daher kann sich die Höchstgrenze auch auf null Euro reduzieren, etwa wenn ein Unternehmen infolge der Tat keinen Umsatz mehr macht. Sieht ein Mitgliedstaat für solche Fälle eine Auffangregelung mit einem festen Höchstbetrag vor, so muss dieser Höchstbetrag nicht den in Art. 7(2)(b) vorgegebenen Mindesthöchstbetrag von 40 Mio. Euro bzw. 8 Mio. Euro erreichen, wie Erwägungsgrund 11a klarstellt.

Art. 7(2) gilt mit seinen Mindesthöchstgrenzen für Unternehmensgeldbußen nicht nur für die Verantwortlichkeit nach Art. 6(1), die durch die Straftat einer Leitungsperson ausgelöst wird, sondern auch für die Verantwortlichkeit nach Art. 6(2), also für Aufsichtspflichtverletzungen einer Leitungsperson, durch die die Straftat einer Nicht-Leitungsperson ermöglicht wird. Das ist eine bemerkenswerte Abweichung gegenüber dem Regelungsvorbild in der Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (s. dort Art. 7), die Mindesthöchstgrenzen nur für den Fall festlegt, dass eine Leitungsperson die Straftat selbst begeht. Ob daraus folgt, dass die Vorgaben über die Mindesthöchstgrenzen in Art. 7(2) auch bei fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzungen eingehalten werden müssen (entgegen § 17 II i.V.m. § 130 III 1, 2, § 30 II 2, 3 OWiG, der bei Fahrlässigkeit eine Halbierung des Höchstmaßes vorsieht), ist jedenfalls fraglich. Art. 6(2) lässt offen, ob für die Unternehmensverantwortlichkeit eine bloß fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung ausreichen soll. Gegen eine Verantwortlichkeit für fahrlässige Unternehmenssanktionen kann zudem das auch in der (rechtspolitischen) Diskussion in Deutschland (s. Graf in BeckOK/OWiG, 41. Edition, § 130 Rz. 24.1) vorgebrachte Argument angeführt werden, dass das Unternehmen damit bei einer fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung schlechter gestellt wäre als wenn seine Leitungsperson selbst fahrlässig den Sanktionsverstoß (und nicht nur eine Aufsichtspflichtverletzung) begangen hätte. Denn der fahrlässige Verstoß der Leitungsperson wäre nach der Richtlinie schon gar nicht strafbar – abgesehen von dem Leichtfertigkeitstatbestand nach Art. 3[1][e][3]), für den die Sanktionsvorgaben des Art. 7(2) aber wohl nicht gelten.
 

4. Einziehung

Die von der Kommission bereits im Mai 2022 vorgeschlagene und inzwischen ebenfalls im Trilog politisch geeinigte Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten (Ratsdokument 5854/24; s. dazu Busch, wistra 2024 H. 2 R9) wird nach ihrem Art. 2(1)(p) auch für die Einziehung bei Sanktionsstraftaten nach der vorliegenden Richtlinie gelten, die zudem in ihrem Art. 10(2) vorsieht, dass sanktionsbetroffene Gelder und wirtschaftliche Ressourcen, hinsichtlich derer eine benannte natürliche Person oder der Vertreter einer benannten Organisation oder Einrichtung eine Umgehungsstraftat nach Art. 3(1)(h)(i) oder (ii) begeht oder daran beteiligt ist, sichergestellt und eingezogen werden können. Sicherstellung und Einziehung sollen nach den Vorgaben der neuen Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten erfolgen (Art. 10[2]; Art. 35[2] der Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten). Das heißt, dass bei einer Verschleierung von sanktionsbetroffenen Vermögensgegenständen durch Nutzung, Übertragung an Dritte oder anderweitige Verfügung (Art. 3[1][h][i]) bzw. durch Falschangaben (Art. 3[1][h][ii]) diese Vermögensgegenstände sicherzustellen und einzuziehen sind.

Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag dagegen vorgesehen, dass die sanktionsbetroffenen Gegenstände bei den Umgehungsstraftaten nach Art. 3(1)(h)(i) oder (ii) als Ertrag zu gelten haben, obwohl sie dem Täter nicht durch diese Straftat zugeflossen sind und grundsätzlich von ihrer rechtmäßigen Herkunft auszugehen ist. Diesen Ansatz hatte bereits der Rat in seiner Allgemeinen Ausrichtung verworfen. Seine Änderung von Art. 10 wurde im Trilog übernommen.

Aus Sicht des deutschen Rechts handelt es sich bei verschleierten sanktionsbetroffenen Vermögensgegenständen um Tatobjekte (§ 74 II StGB). Diese Kategorie ist dem europäischen Einziehungsrecht allerdings fremd. Eine Tatobjekteinziehung ist nur aufgrund von Sondervorschriften möglich, die bei AWG-Straftaten mit § 20 AWG vorhanden sind. Sie hat Strafcharakter, ist daher enger ausgestaltet als die Tatertragseinziehung und nur unter den besonderen Verhältnismäßigkeitsanforderungen von § 74f StGB zulässig.

Für den Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige von sanktionsbetroffenem Vermögen (Art. 3[2][h][iii]) soll Art. 10 nicht gelten (zur Tatobjekteinziehung bei Verstößen gegen die in § 18 Va AWG und §§ 10, 16 SanktDG strafbewehrten Meldepflichten s. Busch, wistra 2022, Register S. 72; Wegner, BT-Finanzausschuss-Protokoll 20/34, S. 15, Anlage 6, S. 8).
 

5. Weitere Regelungen

Die Regelungen zum Strafanwendungsrecht (Art. 11) folgen wiederum dem Regelungsvorbild der Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (s. dort Art. 12). Nicht zwingend vorgegeben ist danach insbesondere die Schaffung einer internationalen Zuständigkeit für Täter, die nicht Staatsangehörige des Mitgliedstaats sind, sondern dort nur ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 11[1a][a]). Auch bei den Verjährungsvorschriften (Art. 12) folgt die Richtlinie den umweltstrafrechtlichen Regelungen (s. dort Art. 11). Für die Meldung von Verstößen nach der neuen Richtlinie gelten zudem die Regelungen der Hinweisgeberschutz-Richtlinie 2019/1937 (Art. 14). Auch der Anwendungsbereich der Richtlinie 2018/1637 über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche erstreckt sich zukünftig auf die neuen Straftaten (Art. 17). Die Regelung zu den Ermittlungsmaßnahmen (Art. 15) sieht (anders als noch im Kommissionsvorschlag) einen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt vor (s. Art. 13 der Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt).

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.


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