Aus wistra 2/2022
Bußgeldverfahren bilden nach wie vor einen der Schwerpunkte der Tätigkeit des BKartA. Im Berichtszeitraum hat das BKartA mehrere Kartellabsprachen aufgedeckt und Bußgeldverfahren geführt. Diese richteten sich sowohl gegen die an den Absprachen beteiligten Personen als auch gegen die jeweiligen Unternehmen. Die durch das BKartA festgesetzten Geldbußen erreichten 2019 insgesamt 847,4 Mio. EUR (davon 846,8 Mio. EUR gegen Unternehmen) und lagen 2020 bei insgesamt 349,4 Mio. EUR, hiervon entfielen 347,6 Mio. EUR auf Unternehmen. Die vereinnahmten Geldbußen erreichten 2019 insgesamt rd. 246 Mio. EUR und lagen 2020 bei insgesamt rd. 877 Mio. EUR. Hiervon entfielen rd. 243 Mio. EUR (2019) bzw. rd. 876 Mio. EUR (2020) auf Unternehmen. 2019 waren insgesamt 577.410 EUR, 2020 1.782.320 EUR gegen natürliche Personen verhängt worden (S. 42).
Kronzeugenanträge nach der Bonus-Regelung sind 2019/2020 stark zurückgegangen. Nach Einschätzung des BKartA ist dies insbesondere auf die Ungewissheit potentieller Kronzeugen wegen nachträglicher Schadensersatzansprüche zurückzuführen. 2019 nahm das BKartA 16 und 2020 13 Kronzeugenanträge entgegen (S. 39). Neben Kronzeugenprogrammen sind für die Kartellbekämpfung auch externe Meldekanäle für Hinweisgeber von Bedeutung, bei denen sich Mitarbeiter oder Dritte, die von einem Verstoß erfahren haben, ggf. auch anonym an Wettbewerbsbehörden wenden können (sog. Whistleblowing; vgl. dazu die Richtlinie (EU) 2019/1937 v. 23.10.2019, ABl. L 305 v. 26.11.2019, S. 17; dazu wistra 2020 R XXXVII; umzusetzen bis 17.12.2021, was bisher nicht geschehen ist! Zum Vorhaben in der 20. Legislaturperiode s. Koalitionsvertrag [zuvor] S. 111). – Das BKartA hatte bereits 2012 ein digitales Hinweisgebersystem für die Meldung eingeführt, die über die Homepage abgegeben werden kann. 2019 und 2020 sind insgesamt über 680 Hinweise eingegangen. Zu den weiteren wichtigen Instrumenten zur Aufdeckung von Kartellen zählen neben dem engen Austausch mit anderen Instanzen (Wettbewerbsbehörden, Staatsanwaltschaften, Gerichte, Vergabestellen) auch Screening-Methoden, die das BKartA in geeigneten Fällen anwendet. Bei Hinweisen auf Kartellabsprachen fragt es im Einzelfall Daten bei Kunden ab und prüft diese auf etwaige Auffälligkeiten. Verhaltensbasierte Screening-Methoden eignen sich insb. im Fall des Verdachts von Submissionsabsprachen. In diesem Zusammenhang wurde in einzelnen Fällen eine ökonomische Analyse des Bieterverhaltens in Kartellverfahren durchgeführt (S. 43).
Folgende Einzelverfahren sind hervorzuheben:
- Gegen acht Großhändler von Pflanzenschutzmitteln und sieben betroffene Mitarbeiter wurden wegen Absprachen von 1998 bis zum 3.3.2015 Geldbußen über ca. 157 Mio. EUR verhängt. Die Absprachen bezogen sich auf eine einheitliche Kalkulation zur Errechnung der Listenpreise für den Verkauf an Einzelhändler und Endkunden, darauf zu gewährende Rabattspannen sowie einige Abgabepreise gegenüber Einzelhändlern ohne weitere Rabattierung (S. 59).
- Das BKartA verhängte zwei Geldbußen von insgesamt 80.000 € gegen eine GmbH wegen Verstößen gegen § 21 II, III GWB im Zusammenhang mit Verpachtungen von Basaltsteinbruchgelände an eine GmbH & Co. KG. Mit einer Kündigungsandrohung sollte diese dazu bewegt werden, den Steinbruchbetrieb künftig auf der Grundlage eines Gemeinschaftsunternehmens mit der Betreiberin eines anderen verpachteten Steinbruchs weiterzuführen. Damit sollte zur Steigerung ihrer Pachterlöse der starke Preiswettwerb zwischen den Pächtern unterbunden werden. Mit der Kündigung im Jahr 2017 sollte die Co. KG schließlich dazu bewegt werden, ihre Betriebsmittel an die andere Betreiberin zu veräußern und als Wettbewerber auszuscheiden (S. 70).
- Im Dezember 2020 wurden gegen fünf Aluminium-Schmiede-Betriebe und gegen zehn verantwortliche Mitarbeiter Geldbußen i.H.v. insgesamt ca. 175 Mio. EUR wegen verbotener wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (zum großen Teil im Zeitraum zwischen April 2006 bis April 2018) verhängt. Gegenstand des Austauschs zwischen leitenden Mitarbeitern der Schmieden waren die individuellen Kosten im Einkauf und Kostensteigerungen für das an der Londoner Metallbörse gehandelte Roh-Aluminium sowie für die Umarbeitung des Aluminiums in ein geeignetes Schmiedevormaterial und für Energie. Ziel war es, diese Kosten an Kunden weiterzugeben, sei es durch Preiserhöhungsforderungen und/oder durch die Einführung variabler Verkaufspreisbestandteile oder durch Beschränkung bei Rabattberechnungen (S. 79).
- Geldbußen über 100 Mio. EUR wurden gegen drei bekannte Kraftfahrzeugkonzerne wegen wettbewerbswidriger Praktiken beim Einkauf von Langstahl als Rohmaterial durch Vereinbarungen über an die Hersteller zu zahlende Schrott- und Legierungszuschläge verhängt (S. 80).
- Das BKartA verhängte Geldbußen i.H.v. rd. 646 Mio. EUR wegen kartellrechtswidriger Absprachen zwischen Mitte 2002 bis Juni 2016 im Zusammenhang mit dem gegenseitigen Austausch und der Verständigung über Aufpreise (für bestimmte Qualität und Zusatzleistungen) und (Schrott- und Legierungs-)Zuschläge zum Basispreis für Quartobleche (gewalzte Stahl-Flacherzeugnisse) zur einheitlichen nicht verhandelbaren Aufnahme in Preislisten für Kunden gegen drei GmbHs und drei leitende Mitarbeiter (S. 80 f.).
- Im weitergeführten Edelstahlverfahren wurden weitere Geldbußen i.H.v. 12,3 Mio. EUR gegen eine AG und einen persönlich Betroffenen wegen Mitwirkung an Verständigungen über die Entwicklung von Basispreisen für Edelbau-Langstahl in der Zeit von September 2006 bis 2009 verhängt (S. 81).
- Wegen Absprachen im Zusammenhang mit Ausschreibungen bestimmter Leistungen bei der technischen Gebäudeausrüstung (betr. Gewerke im Bereich Mechanik [Heizung, Lüftung], Elektrik und Brandschutz) bei großen Gebäudekomplexen (wie Kraftwerken, industrielle Anlagen, Einkaufszentren, Bürogebäuden) verhängte das BKartA gegen vier Unternehmen insgesamt 57,8 Mio. EUR an Geldbußen. Die Verfahren gegen weitere beteiligte Unternehmen wurden aufgrund ihrer Mitwirkung an der Aufklärung auf der Grundlage der sog. Bonus-Regelung für erledigt erklärt (S. 81 f.).
- Im Dezember 2020 verhängte das BKartA Geldbußen gegen zwei Hersteller von Straßenkanalguss sowie deren Verantwortliche i.H.v. 5,9 Mio. EUR. Als Straßenkanalguss werden Produkte wie Schachtabdeckungen und Aufsätze für Straßenabläufe bezeichnet, die aus Gusseisen bzw. aus Beton-Guss bestehen. Nach den Ermittlungen des BKartA bestand jedenfalls seit dem 16.5.2018 und bis zur Durchsuchung am 14.11.2018 zwischen den Verantwortlichen der beiden beteiligten Unternehmen die Übereinkunft, den Sonderrabatt (sog. „Zweiter Rabatt“) für bestimmte Standard-Produkte sowie die für Großkunden geltenden Nettopreise für bestimmte Beton-Guss-Schachtabdeckungen miteinander abzustimmen. Auf dieser Basis wurden innerhalb des angeführten Zeitraums mehrmals Konditionenanpassungen vereinbart (S. 82).
- Im Dezember 2010 und März 2020 wurden Geldbußen von insgesamt 8,2 Mio. EUR gegen vier als Präger von Schildern tätige Unternehmen und fünf persönlich Betroffene wegen wettbewerbswidriger Praktiken beim Verkauf von geprägten Kfz-Kennzeichen an Endkunden in Deutschland verhängt (S. 84).
- 2019 wurde gegen ein Lesezirkel-Unternehmen eine Geldbuße i.H.v. 2,5 Mio. EUR, insgesamt mit zuvor gegen weitere solche Unternehmen ergangene Bußgeldbescheide Geldbußen i.H.v. 3,15 Mio. EUR verhängt. Gegenstand eines Regionalkartells war die Abrede, die gegenseitige Abwerbung von Bestandskunden der öffentlichen Auslage (Arztpraxen, Friseursalons, etc.) zu vermeiden. Abgesichert wurde diese Abrede in der Regel durch die Vereinbarung, dem anderen Unternehmen einen eigenen Kunden zu überlassen, wenn es trotz Abrede zu einer Abwerbung kam. Durch diesen Ausgleichsmechanismus wurde der wirtschaftliche Anreiz für die Abwerbung von Kunden genommen (S. 106).
- Im Dezember 2019 verhängte das BKartA wegen verbotener Gebietsabsprachen auf dem Markt für Flüssiggas zwischen November 2006 und Juli 2016 Geldbußen i.H.v. insgesamt ca. 195.000 € gegen vier mittelständische Unternehmen (S. 127).
Dr. Manfred Möhrenschlager, Bonn-Oberkassel