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Strafprozessuale Regelungen im Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs (mit Ergänzungen in einer RVO)

Aus wistra 3/2022

Am 1.1.2022 ist nach seinem Art. 34 I das „Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften (ERVAG)“ v. 5.10.2021 (BGBl. I 4607) in Kraft getreten. Art. 4 enthält Änderungen der Strafprozessordnung

Materialien:
BMJV-RefE, 18.12.2020; Stellungnahmen von Verbänden, Behörden und Gerichten v. Januar 2021 in BMJV-Mitt. v. 11.10.2021; RegE BR-Drucks. 145/21 = BT-Drucks. 19/28399 m. Stellungnahme des Bundesrates v. 26.3.2021 (PlProt. 1002, 123 f.), BT-Drucks., a.a.O., S. 54 ff.; BT, 1. Lesung, 22.4.2021 (PlProt. 19/224, S. 28470 ff.); Öffentliche Anhörung im BT-Rechtsausschuss, 15.4.2021; BT-Ausschussempfehlung und Bericht, BT-Drucks. 19/31119; BT, 2./3. Lesung, 24.6.2021 (PlProt. 19/236, S. 30601 ff.); BR, 17.9.2021 (PlProt. 1008, S. 380). 

a) Art. 4 Nr. 1a des Gesetzes führte zu folgender Änderung von § 32a II 2 StPO (Elektronischer Rechtsverkehr mit Strafverfolgungsbehörden und Gerichten; Verordnungsermächtigungen), eingeführt durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs v. 5.7.2017 (BGBl. I 2208; dazu wistra 2017 R LXIII). Nach Abs. 2 Satz 1 muss ein nach Abs. 1 elektronisch eingereichtes Dokument „für die Bearbeitung durch die Strafverfolgungsbehörde oder das Gericht geeignet sein“. Nach dem in Parallele zu § 130 II 2 ZPO (Art. 1 Nr. 2, RegE S. 36) geänderten Satz 2 bestimmt die Bundesregierung „durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch die Strafverfolgungsbehörde oder das Gericht“. Diese werden generell in Kapitel 5 (Elektronischer Rechtsverkehr mit Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten) der „Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV)“ v. 24. 11. 2017 (BGBl I 3803) geregelt.

Art. 4 Nr. 1b des Gesetzes führte darüber hinaus zu umfangreichen Änderungen von § 32 IV StPO in Parallele zu § 130 ZPO (Art. 1 Nr. 2c). Dieser lautet nun mit den kursiv gekennzeichneten Änderungen:

„(4) Sichere Übermittlungswege sind 

1. der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt, 

2. der Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach § 31a der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle der Behörde oder des Gerichts,

3. der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle der Behörde oder des Gerichts, 

4. der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle der Behörde oder des Gerichts, 

5. der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle der Behörde oder des Gerichts, 

6. sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind. 
Das Nähere zu den Übermittlungswegen gemäß Satz 1 Nummer 3 bis 5 regelt die Rechtsverordnung nach Absatz 2 Satz 2. “ 

b) Hinzuweisen ist auf die „Entsprechende Geltung der Strafprozessordnung für Aktenführung und Kommunikation im Verfahren“ in § 110c OWiG: 

„Im Übrigen gelten die §§ 32a, 32b und 32d bis 32f der Strafprozessordnung sowie die auf der Grundlage des § 32a Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 Nummer 6, des § 32b Absatz 5 und des § 32f Absatz 6 der Strafprozessordnung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend ...“. 

c) Im Zusammenhang mit diesen Änderungen hat Art. 6 des eingangs genannten Gesetzes die ERVV in größerem Umfang geändert

aa) Nach § 2 II ERVV (Art. 6 Nr. 2b) in Kap. 2 soll das elektronische Dokument den nach § 5 I Nr. 1 (Versionen der Dateiformate PDF und TIFF) und Nr. 6 ERVV (die technischen Eigenschaften der elektronischen Dokumente, Art. 6 Nr. 3) bekannt gemachten technischen Standards (bisher Anforderungen) entsprechen. Art. 6 Nr. 4c ergänzte § 6 ERVV (Besonderes elektronisches Behördenpostfach) durch

„(3) Das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach eines Gerichts, einer Staatsanwaltschaft, einer Amtsanwaltschaft, einer Justizvollzugsanstalt oder einer Jugendarrestanstalt steht einem besonderen elektronischen Behördenpostfach gleich, soweit diese Stelle Aufgaben einer Behörde nach Abs. 1 wahrnimmt; § 7 [Identifizierungsverfahren] findet keine Anwendung.“ 

bb) Nach § 14 ERVV (i.d.F. v. Art. 6 Nr. 6, 7; zuvor § 10) gelten Kap. 2 (Technische Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs, §§ 2–5), Kap. 3 (Besonderes elektronisches Behördenpostfach, §§ 6–9) und Kap. 4 (Besonderes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach; Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos, §§ 10–13) ERVV für „schriftlich abzufassende, zu unterschreibende oder zu unterzeichnende Dokumente, die gemäß“ § 32a III StPO „elektronisch eingereicht werden, mit der Maßgabe, dass der Datensatz nach“ § 2 III „mindestens folgende Angaben enthält: 1. die Bezeichnung der Strafverfolgungsbehörde oder des Gerichts; 2. sofern bekannt, das Aktenzeichen des Verfahrens oder die Vorgangsnummer; 3. die Bezeichnung der beschuldigten Personen oder der Verfahrensbeteiligten; bei Verfahren gegen Unbekannt enthält der Datensatz anstelle der Bezeichnung der beschuldigten Personen die Bezeichnung „Unbekannt“ sowie, sofern bekannt, die Bezeichnung der geschädigten Personen; 4. die Angabe der den beschuldigten Personen zur Last gelegten Straftat oder des Verfahrensgegenstandes; 5. sofern bekannt, das Aktenzeichen eines denselben Verfahrensgegenstand betreffenden Verfahrens und die Bezeichnung der die Akten führenden Stelle“.

Eine ergänzende Regelung enthält § 15 ERVV (Sonstige verfahrensbezogene elektronische Dokumente):

„(1) Sonstige verfahrensbezogene elektronische Dokumente, die an Strafverfolgungsbehörden oder Strafgerichte übermittelt werden, sollen den Anforderungen des § 2 entsprechen. Entsprechen sie diesen Anforderungen nicht und sind sie zur Bearbeitung durch die Behörde oder das Gericht aufgrund der dortigen technischen Ausstattung oder der dort einzuhaltenden Sicherheitsstandards nicht geeignet, so liegt ein wirksamer Eingang nicht vor. In der Mitteilung nach § 32a Absatz 6 Satz 1 der Strafprozessordnung ist auf die in § 2 geregelten technischen Rahmenbedingungen hinzuweisen. 

(2) Die Übermittlung kann auch auf anderen als den in § 32a Absatz 4 der Strafprozessordnung genannten Übermittlungswegen erfolgen, wenn ein solcher Übermittlungsweg für die Entgegennahme verfahrensbezogener elektronischer Dokumente generell und ausdrücklich eröffnet ist.“ 

cc) Im neuen Kap. 4 werden die Einzelheiten zu den nach § 130 IV Nr. 4 und 5 ZPO und daher auch nach § 32a IV Nr. 4 und 5 StPO neu geschaffenen sicheren Übertragungswege geregelt. Im Interesse der Rechtssicherheit sollen Bürger und Unternehmen sowie sonstige Vereinigungen zum Zwecke der Kommunikation mit Gerichten und Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich nur ein besonderes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) verwenden dürfen. Mit dem eBO als neuem sicherem Übermittlungsweg soll die Zustellung von elektronischen gerichtlichen Dokumenten an den jeweiligen Postfachinhaber und der schriftformersetzende Versand durch diese ermöglicht werden. Für die elektronische Kommunikation mit der Justiz steht seit 2004 die Infrastruktur des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) zur Verfügung.

Für den Austausch von EGVP-Nachrichten benötigen sowohl Absender als auch Empfänger eine EGVP-Empfangs- und Sendekomponente, die die Nachrichten erstellt, verschlüsselt und versendet sowie empfängt und entschlüsselt. Für die sichere Anmeldung an einem Postfach wird das eID-Managementsystem SAFE, das insoweit auch den Prinzipien der Nutzerkonten entspricht, genutzt. Der Nachweis der sicheren Anmeldung wird über einen sog. vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) geführt, der den Nachrichten immer dann beigefügt ist, wenn Postfachinhaberinnen und -inhaber sicher im Sinne der gesetzlichen Vorschriften angemeldet waren. SAFE verfügt darüber hinaus über einen Verzeichnisdienst, der für die Adressierung der Postfächer genutzt wird. 

§ 10 I ERVV regelt, welche Anforderungen an das als sicherer Übermittlungsweg anzusehende eBO gestellt werden.
Der in Abs. 1 Nr. 1 aufgeführte Online Services Computer Interface (OSCI)-Transport ist ein Protokollstandard zur vertraulichen und sicheren Übermittlung von Nachrichten. OSCI ist vor allem auf Kommunikationsanforderungen im E-Government zugeschnitten. OSCI-Transport-Nachrichten haben einen zweistufigen „Sicherheitscontainer“. Dadurch ist es möglich, Inhalts- und Nutzungsdaten streng voneinander zu trennen und kryptografisch unterschiedlich zu behandeln. Die Inhaltsdaten werden von den Verfassern einer OSCI-Transport-Nachricht so verschlüsselt, dass nur Berechtigte sie dechiffrieren können. – Auch die Gerichte, die Anwaltschaft sowie die übrigen Nutzer eines EGVP kommunizieren derzeit auf der Grundlage dieses Protokollstandards. 

Abs. 1 Nr. 2 normiert die Voraussetzung einer hinreichenden Identitätsfeststellung. Die Einzelheiten dazu sind in § 11 I, II geregelt (dazu sogleich). Nach § 10 I Nr. 2 muss die Identität des Postfachinhabers in einem Identifizierungsverfahren festgestellt worden sein, bevor dieser mit den Gerichten über diesen sicheren Übermittlungsweg kommunizieren kann. – Nach Abs. 1 Nr. 4 muss sich der Inhaber des Postfachs beim Versand eines elektronischen Dokuments authentisieren. – Abs. 1 Nr. 5 sieht vor, dass feststellbar sein muss, dass der Nutzer des Postfachs das elektronische Dokument selbst versandt hat. Abs. 2 bestimmt weitere Voraussetzungen, die das besondere elektronische Postfach erfüllen muss.

§ 11 ERVV betrifft das Identifizierungsverfahren und stellt Regelungen auf zur Identifizierung und Authentisierung der Postfachinhaber. Hat der Postfachinhaber das Identifizierungsverfahren zur Einrichtung des Postfachs durchlaufen, erfolgt die Nutzung im Rahmen einer Zwei-Stufen-Authentisierung unter Verwendung des Anmeldenamens und Passworts sowie eines der bezeichneten Authentisierungsmittel. – Abs. 1 legt fest, dass die Länder, ähnlich wie nach § 7 ERVV, eine öffentlich-rechtliche Stelle jeweils für ihren Bereich, d.h. für Personen oder Organisationen mit (Wohn-)Sitz in ihrem Gebiet, bestimmen müssen, die nach Identitätsfeststellung des Postfachinhabers die Freischaltung des Postfachs veranlasst. – Abs. 2 regelt die Vorgaben zur Identifizierung der Person oder Vereinigung, die ein elektronisches Postfach einrichtet. Im Rahmen der Identitätsfeststellung geht es um den Nachweis des Namens des Postfachinhabers und der angegebenen Anschrift als Voraussetzung für die Freischaltung des Postfachs. Danach kann der Nachweis nur durch die in Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 5 benannten Identifizierungsmittel erfolgen.

Bei den Identifizierungsmitteln nach Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 unter Verwendung des Personalausweises, eines Ausweismittels nach dem eID-Karte-Gesetz, des elektronischen Aufenthaltstitels oder des qualifizierten elektronischen Siegels werden Name, Vorname sowie die auf dem Identifizierungsmittel hinterlegte Anschrift ausgelesen, gespeichert und im SAFE-Verzeichnisdienst veröffentlicht. – Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 sieht darüber hinaus ein weiteres Identifizierungsmittel vor in Form einer in öffentlich beglaubigter Form abgegebenen Erklärung über den Namen und die Anschrift des Postfachinhabers sowie die eindeutige Bezeichnung des Postfachs. – Die Übermittlung der Daten an die nach Abs. 1 bestimmte Stelle erfolgt in den Fällen der Nr. 3 bis 5 in strukturierter, maschinenlesbarer Form (Abs. 2 Satz 5). Im Falle von Satz 2 Nr. 5 ist zusätzlich eine öffentlich beglaubigte elektronische Abschrift der Erklärung zu übermitteln (Abs. 2 Satz 6). 

Abs. 3 regelt die Voraussetzungen für den elektronischen Versand. Danach hat sich der Postfachinhaber beim Versand des elektronischen Dokuments durch die aufgeführten Authentisierungsmittel zu authentisieren. – Gemäß Abs. 3 Nr. 1 und 2 kann der Postfachinhaber das Authentisierungsmittel, das auf seinem Personalausweis oder das auf seiner Signaturkarte gespeichert ist, nutzen. Darüber hinaus kommt gem. Abs. 3 Nr. 3 auch die Nutzung eines sog. Softwarezertifikates in Betracht. Ein Softwarezertifikat kann auf dem Computer des Nutzers in einer speziellen Sicherheitsumgebung oder auf einer Hardwarekomponente (z.B. USB-Stick), die zusätzlich kryptographisch geschützt werden kann, gespeichert werden.

Nach § 12 ERVV muss bei Änderung von Angaben beim Postfachinhaber unverzüglich eine Anpassung bei der Stelle nach § 11 I veranlasst werden. Zusätzlich bestimmt § 13 ERVV, wie der sichere Übermittlungsweg über den Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos ausgestaltet werden muss. Vorgesehen ist, dass für die Nutzung als sicheren Übermittlungsweg grundsätzlich dieselben Identifizierungsmittel genutzt werden können wie im Falle des § 11 II Nr. 1, 2. Die Authentifizierung erfolgt entsprechend § 11 III. Für die Kommunikation der Justiz mit Inhabern von Nutzerkonten sind zwei Konstellationen zu beachten:

Der Nutzer hat über sein Konto einen Eintrag im SAFE-Verzeichnisdienst veranlasst und das Nutzerkonto verfügt über ein Postfach. Dies ist anhand der Eintragung im Verzeichnisdienst erkennbar. In diesem Fall kann die Justiz ihn adressieren. Es gelten die Ausführungen zu § 11 III. Sofern eine Zustellung nach § 173 ZPO-E erfolgen soll, muss der Nutzer seine Zustimmung zur Übermittlung elektronischer Dokumente erteilt haben. – Wenn der Nutzer nicht im Verzeichnisdienst eingetragen ist, kann er nur in solchen Verfahren (rück)adressiert werden, in denen er initiativ eine elektronische Einreichung vorgenommen hat. Nur dann sind der Justiz seine Adressierungsparameter bekannt. Sein Nutzerkonto muss für diesen Fall über ein Postfach verfügen (insgesamt ist hierzu auf die Begründung im RegE S. 36, 46 ff. zu verweisen). 

Dr. Manfred Möhrenschlager, Bonn-Oberkassel


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