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Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG (COM[2021] 851 final)

Aus wistra 6/2022

Materialien:
Mitteilung der Europäischen Kommission über eine intensivere Bekämpfung der Umweltkriminalität (COM[2021] 814 final); Rechtsfolgenabschätzung der Kommission (SWD[2021] 465 final/2); deutsche Zusammenfassung der Rechtsfolgenabschätzung (SWD[2021] 466 final); Stellungnahme des Ausschusses für Regulierungskontrolle (SEC[2021] 428 final); Evaluierung der Richtlinie 2008/99/EG (SWD[2020] 259 final – Teil 1, SWD[2020] 259 final – Teil 2); Stellungnahme des Bundesrats (BR-Drucks. 27/22 [Beschluss]). 

Literatur: Zeder, JSt 2022, 146. 

Mit ihrem am 15.12.2021 vorgelegten Vorschlag (COM[2021] 851 final) betritt die Kommission einmal mehr mit einem umweltstrafrechtlichen Instrument kriminalpolitisches Neuland. Die jetzt abzulösende umweltstrafrechtliche Richtlinie von 2008 war die erste, noch vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erlassene strafrechtliche Richtlinie (s. dazu Möhrenschlager, wistra 2007, R V) und die nunmehr vorgeschlagene neue Richtlinie wird über das Umweltstrafrecht hinaus erhebliche Bedeutung haben. Ihre neuartigen und weitreichenden Regelungen zu Rechtsfolgen (einschließlich für juristische Personen), Verfahrensfragen, Strafverfolgungsressourcen und Statistiken dürften Vorbildfunktion für nachfolgende Richtlinien haben.
Der Vorschlag steht ganz im Zeichen einer Verbesserung der Effektivität der umweltstrafrechtlichen „Durchsetzungskette“ und setzt vor allem auf mehr Abschreckung (s. etwa Erwägungsgrund 4). Die Richtlinie von 2008 habe die Erwartungen nicht erfüllt, zu nur wenigen erfolgreichen Ermittlungen und Verurteilungen geführt, keine empfindlichen Strafen gebracht und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht hinreichend verbessert (Richtlinienvorschlag, S. 1).
 

1. Straftatbestände

Die neue Richtlinie erweitert und ergänzt zunächst die in der umweltstrafrechtlichen Richtlinie von 2008 vorgegebenen Umweltstraftatbestände. Der Vorschlag sieht in Art. 3(1) insgesamt 18 Einzeltatbestände vor (von denen acht neu sind), weitgehend mit Versuchs- und Leichtfertigkeitsstrafbarkeiten (Art. 3[2], 4[2]).

Wie schon bislang müssen unter bestimmten Voraussetzungen (zur Verwaltungsakzessorietät s. unter 2.) unter Strafe gestellt werden: Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung (Art. 3[1][a]), Umgang mit Abfällen (Art. 3[1][e][f]), Meeresverschmutzung durch Schiffe (Art. 3[1][h]), Errichten, Betreiben und Abbauen von umweltgefährdende Anlagen (Art. 3[1][i]), Umgang mit radioaktivem Material (Art. 3[1][j]), Beeinträchtigung geschützter Pflanzen- und Tierarten (Art. 3[1][l][m]), Schädigung geschützter Gebiete (Art. 3[1][o]) und Umgang mit ozonabbauenden Stoffen (Art. 3[1][q]).

Nach der vorgeschlagenen Neuregelung sind unter bestimmten Voraussetzungen zukünftig darüber hinaus unter Strafe zu stellen: Inverkehrbringen von umweltschädigenden Erzeugnissen (Art. 3[1][b]), Umgang mit gefährlichen Stoffen (Art. 3[1][c]), Durchführung von Vorhaben ohne erforderliche Genehmigung oder Umweltverträglichkeitsprüfung (Art. 3[1][d]), Recycling von Schiffen (Art. 3[1][g]), Entnahme von Boden- und Grundwasser (Art. 3[1][k]), Inverkehrbringen von illegal geschlagenen Hölzern (Art. 3[1][n]), Einbringen von invasiven Arten (Art. 3[1][p]) und Umgang mit Treibhausgasen (Art. 3[1][r]).

Auslegungsregeln für die in den Tatbeständen teilweise verwendeten Merkmale „erheblicher Schaden“, „Schadensgeeignetheit einer Handlung“ und „unerhebliche Menge“ sind in Art. 3(3)-(5) vorgesehen.

Auf zwei der neuen Tatbestände soll etwas ausführlicher eingegangen werden: Der auch wirtschaftsstrafrechtlich interessante neue Straftatbestand nach Art. 3(1)(b) ist erfüllt, wenn ein Erzeugnis zumindest grob fahrlässig in den Verkehr gebracht wird, dessen „Verwendung in größerem Umfang unter Verstoß gegen ein Verbot oder eine andere Anforderung“ erhebliche Schäden an Mensch oder Umwelt verursachen kann. Die Regelung dürfte insbesondere die in dem Richtlinienvorschlag (S. 7) erwähnten „schwerwiegenden Verstöße gegen Verbote der Verwendung von Abschaltvorrichtungen(„Diesel-Fälle“) im Blick haben, bei denen nicht schon die Abgase eines einzelnen Autos zu einer erheblichen Schädigung führen, wohl aber die Abgase der Masse der in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge. Auch im deutschen Umweltstrafrecht wären danach Anpassungen erforderlich. Der Straftatbestand der Luftverunreinigung (§ 325 StGB) ist teilweise schon nicht auf Kraftfahrzeuge anwendbar (§ 325 II, VII StGB) bzw. verlangt, dass es zu einer Schadstofffreisetzung in bedeutendem Umfang beim Betrieb „einer“ Anlage (und eben nicht mehrerer Anlagen) kommt (§ 325 II StGB). Der Auffangtatbestand in § 325 III StGB soll wiederum nicht für Luftverschmutzungen beim Betrieb von Anlagen und damit auch nicht von Autos gelten (BT-Drucks. 17/5391, 17; strittig, vgl. LK/StGB/Heghmanns 13. Aufl., § 325 Rz. 51). Jenseits der Diesel-Fälle könnte die Vorschrift auf eine Verstrafrechtlichung der Produkthaftung hinauslaufen (kritisch dazu auch der Bundesrat, BR-Drucks. 27/22 [Beschluss]). Sie setzt keine Verschmutzung von Luft, Wasser oder Boden voraus, sondern greift auch, wenn es ohne Vermittlung durch ein Umweltmedium zu Gesundheitsschäden kommt oder auch nur kommen kann. Das geht tendenziell über Umweltstrafrecht hinaus und ist weiter als die Produktverantwortlichkeit nach deutschem Strafrecht, die eine bloße Gefährdung von Leib oder Leben nicht pönalisiert. Ein denkbarer Anwendungsfall wären verunreinigte Lebensmittel, die „bei Verwendung im größeren Umfang“, also auch bei häufigem und langandauerndem Verzehr, zu Gesundheitsschäden führen oder auch nur führen können. Gewisse Einschränkungen ergeben sich daraus, dass nur rechtswidrige Handlungen erfasst werden, was einen Verstoß gegen umweltrechtliche Vorschriften voraussetzt, die nach der Definition in Art. 2(2) aber weit zu verstehen sind.

Der Straftatbestand des Art. 3(1)(d) gilt für die vorsätzliche und grob fahrlässige Durchführung bestimmter Projekte ohne Genehmigung oder Umweltverträglichkeitsprüfung, die zu erheblichen Schäden von Umwelt, Sachgütern und kulturellem Erbe führen können. Eine Strafbarkeit wäre danach auch gegeben, wenn das Vorhaben zwar genehmigt ist, im Genehmigungsverfahren aber die Umweltverträglichkeit nicht geprüft wurde. Damit rückt auch die Strafbarkeit von Amtsträgern in den Blick, die über die Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung entscheiden (zur Amtsträgerstrafbarkeit nach geltendem Recht s. LK/StGB/Heghmanns 13. Aufl., vor § 324 Rz. 74 ff.). Die Warnung des Bundesrats vor einer „Erhöhung der Unsicherheiten bei allen Beteiligten“, sein Hinweis auf Auswirkungen auf „Investitionsvorhaben für eine Transformation in Richtung Klimaneutralität und zur Umsetzung des europäischen Grünen Deals“ sowie auf das „gesamtgesellschaftliche Ziel der Beschleunigung“ von Planungs- und Genehmigungsverfahren dürften nicht zuletzt auf diese Vorschrift gemünzt sein (BR-Drucks. 27/22 [Beschluss], S. 2). Der Bundesrat weist zudem auf eine Vorverlagerung der Strafbarkeit hin, nachdem nicht erst der Betrieb, sondern bereits die Durchführung von Projekten unter Strafe steht, und sieht insoweit und wegen der Weite und Unbestimmtheit des Anwendungsbereichs durchgreifende Bedenken mit Blick auf den Ultima-Ratio-Grundsatz (BR-Drucks. 27/22 [Beschluss], S. 4).
 

2. Verwaltungsakzessorietät und Rechtswidrigkeitsdefinition

Sämtliche Straftatbestände der Richtlinie setzen rechtswidriges Verhalten voraus (und erteilen mit dieser Verwaltungsakzessorietät Forderungen nach einem „autonomen“ Straftatbestand des Ökozids fürs erste eine Absage; s. dazu BT-Drucks. 19/26646, 84; Bock, ZRP 2021, 187). Während die Richtlinie von 2008 dafür einen Verstoß gegen die in ihrem Anhang aufgeführten EU-Rechtsakte verlangt hat, arbeitet die neue Richtlinie mit einer dynamischen und teils pauschalen Verweisung auf das europäische und mitgliedstaatliche Umweltverwaltungsrecht. Rechtswidrig ist danach, was gegen EU-Rechtsvorschriften verstößt, die – unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage – zu den Zielen der EU-Umweltpolitik beitragen, und was gegen entsprechende mitgliedstaatliche Umsetzungsvorschriften verstößt (Art. 2[1]). Das erinnert an die „verwaltungsrechtliche Pflicht“, die sich nach der Legaldefinition in § 330d I Nr. 4, II Nr. 1 StGB ebenfalls aus verschiedenen (in- und ausländischen) Rechtsquellen ergeben kann und dem Schutz der Umwelt dienen muss. Wie das deutsche (Kern-)Strafrecht (§ 330d I Nr. 5 StGB) sieht die Richtlinie auch eine Regelung für rechtsmissbräuchliches Handeln vor: Genehmigungen, die auf betrügerische Weise oder durch Korruption, Erpressung oder Zwang erlangt wurden, sind nach Art. 2(1) unbeachtlich (zu den damit importierten Unsicherheiten und Streitfragen der deutschen Regelung s. LK/StGB/Heghmanns 13. Aufl., § 330d Rz. 27 ff.).

In fast allen Straftatbeständen wird allerdings trotzt der vor die Klammer gezogenen Rechtswidrigkeitsdefinition ausdrücklich noch auf bestimmte Regelungen des EU-Umweltverwaltungsrechts Bezug genommen (wie etwa in dem oben erwähnten Art. 3[1][d] auf die Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten; es fehlt eine solche Bezugnahme nur bei [a], [b], [e [i]] und [k]). Dabei soll es sich um eine dynamische Verweisung handeln, soweit die in Bezug genommenen Verpflichtungen bei einer „Weiterentwicklung (...) im Wesentlichen unverändert bleiben“. Komme es jedoch zu neuen europarechtlichen Verboten, müsse deren Strafbewehrung durch eine Änderung der vorliegenden Richtlinie erfolgen (Erwägungsgrund 10). Die vorgesehene dynamische Verweisung ist dabei weniger ein Problem des Bestimmtheitsgebots. Denn der nationale Umsetzungsgesetzgeber ist nicht an die Regelungstechnik der Richtlinie gebunden und kann deren Vorgaben auch mit statischen Verweisungen umsetzen (die er bei Änderungen des in Bezug genommenen EU-Rechts dann jeweils rechtzeitig anpassen muss). Zu beachten ist aber, dass die EU materielles Strafrecht nur auf Grundlage von Art. 83 AEUV erlassen darf, der bestimmte Voraussetzungen und Verfahren („Notbremse“, Art. 83 III AEUV) vorsieht. Problematisch wird es daher, wenn die Entscheidung über den wesentlichen Inhalt eines Straftatbestands in einem EU-Umweltverwaltungsrechtsakt getroffen wird und nicht in einer strafrechtlichen Richtlinie. Die Strafrechtsgesetzgebung darf nicht an die Umweltverwaltungsgesetzgebung „delegiert“ werden. Dazu kann es aber bei einem Straftatbestand wie dem Inverkehrbringen von Holz aus illegalem Einschlag (Art. 3[1][n]) kommen, der im Wesentlichen aus dem Verstoß gegen die in Bezug genommene Verordnung 995/2010/EU über „Verpflichtungen von Marktteilnehmern, die Holz und Holzerzeugnisse in Verkehr bringen“, besteht. Die Abgrenzung zwischen nur weiterentwickelten und im Wesentlichen unveränderten Verpflichtungen und neuen Verboten, die eine Änderung der Richtlinie erforderlich machen, dürfte jedenfalls hier Schwierigkeiten bereiten.
 

3. Rechtsfolgen

Bei juristischen Personen verlangt der Richtlinienvorschlag auf Rechtsfolgenseite u.a. „strafrechtliche Sanktionen“ (Art. 7[2][a]) einschließlich einer umsatzbezogenen „Geldstrafe“ von 5 % bzw. 3 % (Art. 7[4][5]), Unternehmensauflösung (Art. 7[1][h]), Compliance-Anordnungen (Art. 7[2][j]) und eine Veröffentlichung der Verurteilung (Art. 7[2][k]). Kommt damit ein Unternehmensumweltstrafrecht aus Brüssel? Das ist nicht der Fall, wie ein genauer Blick zeigt. Zwar schreibt Art. 7(2)(a) in der deutschen Fassung beides vor, strafrechtliche und nicht-strafrechtliche Sanktionen. Es handelt sich aber um einen Übersetzungsfehler und gemeint sind „Geldstrafen oder Geldbußen“ (englische Version: „criminal or non-criminal fines“). Die Mitgliedstaaten müssen also für eine Verantwortlichkeit von juristischen Personen für Straftaten sorgen, die aber keine strafrechtliche Verantwortung sein muss und wie in Deutschland ordnungswidrigkeitenrechtlich ausgestaltet sein kann (so auch Erwägungsgrund 15). Gleichwohl sind die Regelungen zur Sanktionierung juristischer Personen ein Novum. Während zahlreiche andere, nicht-strafrechtliche Richtlinien schon seit längerem umfangreiche Vorgaben zur Sanktionierung von juristischen Personen bei Ordnungswidrigkeiten vorsehen (vgl. Korte, FS Graf-Schlicker, 2018, S. 525), beschränken sich die strafrechtlichen Richtlinien bisher auf die Vorgabe „wirksamer, angemessener und abschreckender“ Geldstrafen bzw. Geldbußen, ohne ein Höchstmaß vorzuschreiben; weitere Sanktionen wie die Auflösung des Unternehmens und der Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen werden aufgezählt, ihre Übernahme dem Umsetzungsgesetzgeber aber anheimgestellt (vgl. zuletzt Art. 8 der Richtlinie 2018/1673/EU über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche). Die vorgeschlagene Richtlinie würde damit brechen und bei Verbandssanktionen zumindest wegen Umweltdelikten nicht unerheblichen Umsetzungsbedarf auslösen. Die zwingenden Vorgaben der Richtlinie würden dabei sogar über das in der letzten Legislaturperiode gescheiterte „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (BT-Drucks. 19/23568) hinausgehen, das umsatzbezogene Geldsanktionen (§ 9 II VerSanG-E) und (unter engen Voraussetzungen) eine Veröffentlichung der Verurteilung (§ 14 VerSanG-E) sowie Compliance-Weisungen vorsah (§ 13 II VerSanG-E), nicht aber die Auflösung des Verbands und ebenso wenig die in Art. 7(2) vorgesehene weiteren aus deutscher Sicht teils strafrechtsfremden Nebenfolgen: Verpflichtung zur Beseitigung des Umweltschadens (b); Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen (c), Ausschluss vom Zugang zu öffentlicher Finanzierung einschließlich öffentlicher Auftragsvergabe (d), Verbot der Ausübung einer Geschäftstätigkeit (e), Entziehung von Genehmigungen und Zulassungen (f), richterliche Aufsicht (g) und Schließung von Einrichtungen (i). Differenziert wird dabei zwischen Straftaten von Leitungspersonen (Art. 6[1]) und Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen (Art. 6[2]), bei denen nur „wirksame, angemessene, abschreckende“ Sanktionen vorgegeben werden (Art. 7[3]) und die Rechtsfolgenliste des Art. 7(2) nicht gilt.

Bei der vorgesehenen umsatzbezogenen Geldbuße entscheidet sich der Vorschlag nicht, ob auf den weltweiten Umsatz der juristischen Person oder des „Unternehmens“ abgestellt werden soll, und nennt beide Optionen (Art. 7[4][5]); zu den problematischen Konsequenzen der Bezugnahme auf den Unternehmensumsatz bei Art. 83 DSGVO s. Kubiciel, PinG 2021, S. 81 sowie den Vorlagebeschluss des KG vom 6.12.2021, ZD 2022, 156). Der Umsatz soll nicht nur Berechnungsgrundlage für das Höchstmaß der Geldbuße sein, sondern ebenso wie der Tatertrag zudem bei der Entscheidung über die angemessene Höhe der Geldbuße berücksichtigt werden (Art. 7[6]), was auf eine fragwürdige Doppelberücksichtigung hinauslaufen dürfte und die wirtschaftlichen Verhältnisse (die nicht mit dem Umsatz gleichzusetzen sind) nicht ausreichend einbezieht (vgl. hierzu die abweichende Regelung in § 15 II VerSanG-E, BT-Drucks. 19/23568, 15).

Bei natürlichen Personen sieht der Richtlinienvorschlag Mindesthöchststrafen von vier, sechs bzw. zehn Jahren vor (Art. 5[2]-[6]). Mindesthöchststrafen werden auch in anderen strafrechtlichen Richtlinien vorgegeben, würden sich in der vorgesehenen Staffelung aber kaum in die deutsche Systematik mit ihrer Abstufung von zwei, drei und fünf Jahren einfügen lassen (s. dazu auch die „Schlussfolgerungen des Rates über einen Ansatz zur Angleichung der Strafen“ von 2002, Ratsdokument 9141/02). Problematisch erscheinen auch einige der für natürliche Personen zwingend vorgegebenen „Nebenfolgen“ in Art. 5(5), wie insbesondere die unionsweite Veröffentlichung der Verurteilung (5[5][g]).

Erschwerende und mildernde Umstände sind in Art. 7 und 8 geregelt, wobei offen ist, inwieweit diese Kriterien neben Art. 7(6) auch bei der Sanktionierung juristischer Personen anzuwenden sind.
 

4. Öffentlichkeitsbeteiligung im Strafverfahren

In Art. 14 sieht der Richtlinienvorschlag ein Recht der betroffenen Öffentlichkeit zur Verfahrensbeteiligung vor. Die Natur könne sich nicht selbst als Opfer vertreten, so dass Mitglieder der in Art. 2(4) definierten „betroffenen Öffentlichkeit“ (also insbesondere Umweltverbände) Gelegenheit haben sollten, im Namen der Umwelt als öffentliches Gut zu handeln, heißt es dazu in Erwägungsgrund 26 unter Bezugnahme auf das Aarhus-Übereinkommen. Der Bundesrat betont in seiner Stellungnahme den Widerspruch zu den in Deutschland bestehenden strafrechtsdogmatischen Grundsätzen und zum Strafmonopol des Staates (BR-Drucks. 27/22 [Beschluss], S. 10). Das deutsche Strafverfahrensrecht kennt eine Beteiligung von Verletzten als Nebenkläger, lässt aber keine strafrechtliche „Popularklage“ zu. Man kann argumentieren, dass Art. 14, der „innerhalb des Rechtsrahmens der Mitgliedstaaten und im Einklang mit den einschlägigen Verfahrensvorschriften“ umzusetzen ist (Erwägungsgrund 26), damit in Deutschland schon nicht zur Anwendung kommt (so die Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 27/22 [Beschluss], S. 10). Denkbar ist aber auch die Auslegung, dass für die betroffene Öffentlichkeit die Rechte geschaffen werden müssen, die das nationale Recht bereits heute für die Nebenklage vorsieht.
 

5. Ressourcen, Schulung, Zusammenarbeit, Statistiken

Nach Art. 16 müssen Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ihre für Umweltstraftaten zuständigen nationalen Behörden und Gerichte über ausreichende personelle und sachliche Ressourcen verfügen. Auch eine solche Regelung gibt es bisher nicht in strafrechtlichen Richtlinien, die nach der Rechtsgrundlage in Art. 83 I, II AEUV dafür gedacht sind, „Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen“ festzulegen. Mit dem Regelungsvorschlag dürfte die Kommission nicht zuletzt auch die von den Mitgliedstaaten im Rat betonte Bedeutung von Umsetzungsdefiziten aufgreifen, die freilich zugleich mit dem Wunsch nach einem behutsamen Vorgehen bei neuen Rechtssetzungsvorschlägen verbunden war (s. den Bericht aus 2019 der finnischen Ratspräsidentschaft „EU environmental criminal law – Presidency report“, Ratsdokument 12801/19). Die Personalmehrkosten für die mit der Richtlinie bezweckte Verbesserung des wirksamen Funktionierens der Durchsetzungskette veranschlagt die Kommission in ihrem Vorschlag für alle Mitgliedstaaten auf ca. 4 Mio. Euro (S. 20), die allerdings nur die staatsanwaltschaftlichen Personalmehrkosten widerspiegeln und zu denen die in der Rechtsfolgenabschätzung ausgewiesenen Personalmehrkosten bei der Polizei von 190 Mio. Euro (SWD[2021] 465 final/2, S. 122) addiert werden müssen.

Ebenfalls der besseren praktischen Durchsetzung sollen die in dieser Form neuartigen Art. 17 (Schulung), 19 (Koordinierung und Zusammenarbeit) sowie 20 (Datenerhebung und Statistik) dienen.

Die französische Ratspräsidentschaft strebt den Beschluss einer (partiellen) Allgemeinen Ausrichtung zu den Art. 2–4 für Juni 2022 an.

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.

 


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