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Gesetz zur umfassenden Verfolgung der organisierten Steuerhinterziehung

Aus wistra 9/2022

Entwurf des Bundesrats eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung – Gesetz zur umfassenden Verfolgung der organisierten Steuerhinterziehung 

Der Bundesrat hat am 11.3.2022 beschlossen, den von NRW initiierten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung – Gesetz zur umfassenden Verfolgung der organisierten Steuerhinterziehung (erneut) in den Deutschen Bundestag einzubringen (BT-Drucks. 20/1518). Der Entwurf war bereits in der zurückliegenden 19. Legislaturperiode eingebracht worden (BT-Drucks. 19/25819; s. dazu Möhrenschlager wistra 2021, Register S. 29) und ist der Diskontinuität anheimgefallen. Zu dem erneut eingebrachten Entwurf hat die Bundesregierung am 27.4.2022 Stellung genommen (BT-Drucks. 20/1518, 11).

Nach dem Willen des Bundesrats soll das Regelbeispiel der bandenmäßigen Steuerhinterziehung (§ 370 III 2 Nr. 5 AO), das bisher nur für die Verkürzung von Umsatz- und Verbrauchsteuern gilt, auf sämtliche Steuerarten erstreckt werden. Es sei „nicht vermittelbar, warum beispielsweise bandenmäßige Hinterziehung von Biersteuer regelmäßig eine Bestrafung mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ermöglicht, während einen Täter einer bandenmäßigen Hinterziehung von Gewerbesteuer ein Strafmaß von Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe erwartet“ (BT-Drucks. 20/1518, 8). Da § 370 III 2 Nr. 5 AO eine Katalogtat für die Telekommunikationsüberwachung ist (§ 100a II Nr. 2 Buchst. a StPO), könnten mit seiner Ausweitung auf sämtliche Steuerarten „zugleich ohne eine zusätzliche Erweiterung des Straftatenkatalogs des § 100a StPO [...] in verhältnismäßiger Weise die erforderlichen Ermittlungsmethoden eröffnet“ werden (BT-Drucks. 20/1518).

In der 19. Legislaturperiode hatte die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf „eine Ausweitung von § 100a Absatz 2 Nummer 2 StPO auf Fälle der Steuerhinterziehung im großen Umfang nach § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 AO bei Fällen der bandenmäßigen Begehung“ angekündigt (BT-Drucks. 19/25819, 9) und dies mit dem am 1.7.2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften auch umgesetzt (Art. 1 Nr. 10; BGBl. I 2021, 2099), was die vom Bundesrat angestrebte Erweiterung der Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung zumindest teilweise bereits verwirklicht hat und von dem in unveränderter Form eingebrachten BR-Entwurf nicht aufgriffen wird. Nach dem ergänzten § 100a II Nr. 2 Buchst. a StPO ist bei bandenmäßiger Steuerhinterziehung eine Telekommunikationsüberwachung nicht nur (wie bisher) bei Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchssteuern (§ 370 III 2 Nr. 5 AO) zulässig, sondern auch unabhängig von der Art der hinterzogenen Steuer, sofern in großem Ausmaß (§ 370 III 2 Nr. 1 AO) Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften wird dazu ausgeführt: „Bei Hinterziehung anderer Steuerarten [als Umsatz- und Verbrauchssteuern] ist eine Telekommunikationsüberwachung bislang auch dann nicht möglich, wenn es sich dabei um eine bandenmäßig begangene Steuerhinterziehung in großem Ausmaß handelt, wie in jüngerer Vergangenheit bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Die Folgen solcher Straftaten sind massive fiskalische Einbußen und somit eine massive Schädigung der Allgemeinheit. Die Täterstrukturen kommunizieren dabei jedenfalls auch fernmündlich miteinander, um sich gegebenenfalls auch kurzfristig kollusiv auszutauschen oder um bewusst schriftliche Beweismittel jedenfalls im Inland zu vermeiden. Für die Ermittlungsbehörden könnte die Telekommunikationsüberwachung daher ein elementarer Baustein zur Aufklärung dieser Straftaten sein. Daher soll durch die vorliegende gesetzliche Änderung die Telekommunikationsüberwachung bei bandenmäßiger Steuerhinterziehung in größerem Umfang als bisher ermöglicht werden. Jede Telekommunikationsüberwachung ermöglicht einen schwerwiegenden Eingriff in das durch Artikel 10 Absatz 1 GG geschützte Telekommunikationsgeheimnis. Die nach § 100a Absatz 1 Satz 3 StPO zulässigen Maßnahmen greifen zusätzlich in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ein. Nicht jede schwere Straftat begründet die Aufnahme in den Katalog des § 100a StPO. Vielmehr müssen neben der Schwere der Tat autonome Erwägungen beispielsweise zur Rechtsgutsverletzung hinzutreten. Mit der Aufnahme des § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 AO in den Katalog des § 100a StPO unter gleichzeitiger Beschränkung auf Fälle der bandenmäßigen Begehung kann das gesetzgeberische Ziel jedoch erreicht und der Anwendungsbereich dennoch hinreichend eingeschränkt werden. [...] Das Zusammenwirken als Bande zeigt auch eine im Vergleich zum Alleintäter deutlich erhöhte kriminelle Energie und kriminogene Dynamik. Die Aufnahme des Regelbeispiels des § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 AO ist daher nur in der einschränkenden Konstellation der bandenmäßigen Begehung angezeigt“ (BT-Drucks. 19/27654, 70 f.; Hervorhebungen nicht im Original).

In ihrer jetzigen Stellungnahme lehnt die Bundesregierung den erneut eingebrachten Gesetzentwurf des Bundesrates ab. Sie kündigt an, dass sie „bis Ende des Jahres 2022 einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen [wird], der die im Koalitionsvertrag zur stärkeren Bekämpfung der organisierten Steuerkriminalität vorgesehenen Aspekte (mit größtmöglicher Konsequenz Steuerhinterziehung und aggressive Steuergestaltungen zu verfolgen und zu unterbinden sowie das strategische Vorgehen gegen Steuerhinterziehung organisatorisch und personell stärken) beinhalten, Informationsmöglichkeiten verbessern und Ermittlungsbehörden stärken wird“ (BT-Drucks. 20/1518, 11; Hervorhebungen nicht im Original).

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.


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