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Änderung der Sanktionsverordnung (EU) 269/2014

Aus wistra 10/2022

Verordnung (EU) 2022/1273 des Rates vom 21.7.2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen 

Die Verordnung (EU) 2022/1273 (ABl. Nr. L 194/1 v. 21.7.2022) zur Änderung der Sanktionsverordnung (EU) 269/2014 ist am 21.7.2022 in Kraft getreten (zu dem „Sanktionspaket“ insgesamt s. Niested, UKuR 2022, 335). Die Sanktionsverordnung regelt u.a. das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen insbesondere von Personen, „die für Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen [...] verantwortlich“ sind (Erwägungsgrund 4 der Verordnung [EU] 269/2014), und listet diese Personen in ihrem Anhang I auf. Der neugefasste Art. 9(2) unterwirft die gelisteten natürlichen und juristischen Personen, Einrichtungen und Organisationen nunmehr der Pflicht, ihre in der EU befindlichen Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen vor dem 1.9.2022 bzw. innerhalb von sechs Wochen nach ihrer Listung an die zuständigen nationalen Behörden zu melden und mit diesen Behörden bei der Überprüfung der Informationen zusammenzuarbeiten. Eine Verletzung der Melde- und Zusammenarbeitspflicht ist gem. dem neuen Art. 9(3) als Teilnahme an einer verbotenen Sanktionsumgehung (Art. 9[1]) anzusehen und soll „Strafen nach sich ziehen, wenn die Voraussetzung für die Verhängung solcher Strafen nach den anwendbaren nationalen Vorschriften und Verfahren erfüllt sind“ (Erwägungsgrund 5 der Änderungsverordnung [EU] 2022/1273).

Die Regelung dürfte inspiriert sein von der in Deutschland mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz I eingeführten Anzeigepflicht (§ 23a I AWG, s. Busch, wistra 2022, H. 7, R8). Sie führt zugleich dazu, dass diese erst am 28.5.2022 in Kraft getretene nationale Vorschrift und ihre Strafbewehrung (§ 18 Vb AWG) zukünftig auf die Russlandsanktionen nicht mehr anwendbar sein werden, denn die nationale Anzeigepflicht entfällt nach § 23a I AWG, wenn (und soweit) europarechtlich eine unmittelbar geltende „anderweitige Anzeigepflicht“ besteht, was nunmehr der Fall ist. Die Beschränkung auf europarechtlich nicht oder noch nicht geregelte Bereiche trägt dem Vorrang des europäischen Verordnungsrechts und dem Verbot der Wiederholung von Verordnungsrecht im mitgliedstaatlichen Recht Rechnung (vgl. Ruffert in Callies/Ruffert EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 288 AEUV Rz. 21; s. auch die Begründung des SDG I-Entwurfs, BT-Drucks. 20/1740, 19: „im Rahmen des nationalen gesetzgeberischen Spielraums“). Um dem nationalen Gesetzgeber Zeit zur Bewehrung der europarechtlichen Anzeigepflicht zu geben und währenddessen eine Unanwendbarkeit bestehender nationaler Straftatbestände zu vermeiden, sieht Art. 9(5) eine Übergangsfrist vor. Die neu geschaffene Meldepflicht „gilt vor dem 1. Januar 2023 nicht in Bezug auf Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen, die sich in einem Mitgliedstaat befinden, der im Rahmen des nationalen Rechts vor dem 21. Juli 2022 eine vergleichbare Meldepflicht vorgesehen hat“. Bis zum Jahresende 2022 bleibt es damit bei der Anwendbarkeit der „vergleichbaren“ nationalen Meldepflicht nach § 23a I AWG einschließlich ihrer Strafbewehrung in § 18 Vb AWG und der Möglichkeit eines strafbefreienden Nachholens der Anzeige (§ 18 Vb 2 AWG). Ein Strafbewehrung der neu geschaffenen europarechtlichen Meldepflicht könnte in dem bereits angekündigten Sanktionsdurchsetzungsgesetz II (s. dazu Busch, wistra 2022, H. 8, R10) vorgesehen werden.

Die Bewehrung von Verordnungsverstößen ist den Mitgliedstaaten auch nicht freigestellt, sondern sie sind gem. Art. 15(1) der Verordnung (EU) 269/2014 dazu verpflichtet. Danach legen die „Mitgliedstaaten [...] für Verstöße gegen diese Verordnung Sanktionen, gegebenenfalls auch strafrechtliche Sanktionen, fest und treffen die zur Sicherstellung ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“ (eine gleichlautenden Formulierung findet sich in der Ausfuhrkontroll-Verordnung [EU] 883/2014 vom 31.7.2014). Trotz der bereits mit der Änderungsverordnung (EU) 2022/880 vom 3.6.2022 (Abl. Nr. L 154/75 v. 3.6.2022) eingefügten Formulierung „gegebenenfalls auch strafrechtliche Sanktionen“ besteht keine europarechtliche Pflicht zur strafrechtlichen Bewehrung, da die EU die Schaffung von Straftatbeständen ausschließlich in einer auf Art. 83 AEUV gestützten Richtlinie vorgeben kann. Eine solche Richtlinie zur Strafbewehrung von Sanktionsverstößen hat die Kommission in ihrer Mitteilung vom 25.5.2022 (COM[2022] 249 final) schon angekündigt und skizziert (s. dazu Busch, wistra 2022, H. 8, R8; Meyer, VerfBlog 2022/6/24; Zeder, JSt 2022, S. 367).

Ebenfalls bereits mit der Änderungsverordnung (EU) 2022/880 war Art. 15(1) der Sanktionsverordnung (EU) 269/2014 um einen Satz 3 ergänzt worden, wonach die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zur Einziehung von Erträgen aus Verordnungsverstößen ergreifen müssen (gleichlautende Vorschrift in Art. 8[1] der Ausfuhrkontrollverordnung [EU] 883/2014). Zur Umsetzung müssen die Mitgliedstaaten wiederum nicht zwingend strafrechtliche Regelungen schaffen, da sie europarechtlich schon nicht zu einer strafrechtlichen Bewehrung der Verordnungsverstöße gezwungen sind. Die Kommission hat aber bereits einen auf Art. 82(2), 83(1)(2) und 87(2) AEUV gestützten Vorschlag für eine strafrechtliche Richtlinie über die Einziehung und Abschöpfung von Vermögenswerten vorgelegt (COM[2022] 245 final; Stellungnahme des Bundesrates in BR-Drucks. 281/22 [Beschluss]), der in seinem Art. 2(3) den von der Kommission angekündigten Vorschlag für eine Richtlinie zur Strafbewehrung von Sanktionsverstößen in Bezug nimmt (s. dazu Busch, wistra 2022, H. 7, R10). Treten beide Richtlinien in Kraft, besteht zukünftig eine EU-weite Pflicht zur Strafbewehrung von Sanktionsverstößen und zu einer daran anknüpfenden strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Nach geltendem deutschen Recht können bei AWG-Straftaten nicht nur Taterträge (§§ 73 ff. StGB), Tatmittel und Tatprodukte (§ 74 I StGB), sondern auch Tatobjekte (§ 74 II, § 20 I Nr. 1 AWG) eingezogen werden. Die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Dritten (§ 74a StGB) ist ebenfalls zulässig (§ 20 II AWG). Gegenstände, die in einem Verfahren wegen des Verdachts einer vorsätzlichen AWG-Straftat sichergestellt werden, können nach § 76a IV StGB selbständig, d.h. ohne Verfolgung oder Verurteilung der betroffenen Person, eingezogen werden, wenn sie aus (irgend-)einer rechtswidrigen Tat herrühren (§ 76a IV 3 Nr. 5 StGB).

Oberstaatsanwalt beim BGH (Referatsleiter im BMJ) Markus Busch LL.M. (Columbia University), Berlin
Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.


Verlag C.F. Müller

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