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Bundeskanzler

Aus wistra 6/2022

In der Hamburger Bürgerschaft wurde zu einem (Vor-)Ermittlungsverfahren gegen Olaf Scholz im Zusammenhang mit einer sog. Cum-Ex-Affäre gefragt. Der Senat stellt seinen Antworten hierzu folgende Vorbemerkung voraus (Hervorhebung nicht im Original):

„Aufgrund entsprechender Medienberichte gingen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg ab Februar 2020 verschiedene Strafanzeigen zu sogenannten Cum-Ex-Geschäften und einer möglichen Beteiligung Hamburger Entscheidungsträger ein. Diese insgesamt neun Strafanzeigen vom 15. Februar 2020, 20. Februar 2020, 25. Februar 2020, 10. Juli 2020, 18. Oktober 2020, 28. Oktober 2020, 19. April 2021, 24. Juni 2021 und 31. August 2021 wurden in einem Prüfvorgang unter dem Aktenzeichen 5700 Js 1/20 zusammengefasst. Die Strafanzeigen richteten sich in der Regel gegen unbekannte verantwortliche Mitarbeitende der Stadt oder des Finanzamts Hamburg, die Strafanzeige vom 4. Juni 2021 zudem namentlich gegen den früheren Ersten Bürgermeister Olaf Scholz und die Strafanzeige vom 31. August 2021 gegen Olaf Scholz sowie den damaligen Präses der Finanzbehörde Dr. Peter Tschentscher und andere. Erstattet wurden die Strafanzeigen wegen aller in Betracht kommender Delikte sowie zum Teil explizit wegen des Verdachts der Untreue.

Mit Verfügung vom 7. September 2021 wurde in dem vorgenannten Prüfvorgang von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen, weil nach Auffassung der Staatsanwaltschaft keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat bestanden (§ 152 Absatz 2 StPO). Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich dieser Bewertung in ihrer Beschwerdeentscheidung vom 29. November 2021 angeschlossen. Darüber hinaus gingen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg zwischenzeitlich 72 weitere Strafanzeigen wegen des Vorwurfs der Untreue ein. Die Strafanzeigen sind zum wesentlichen Teil nahezu wortgleich und richten sich gegen Olaf Scholz und weitere mögliche Beteiligte. Sie gehen zurück auf einen Internet-Blog, der zur Anzeigenerstattung aufruft. 

Bis auf zwei Strafanzeigen sind alle Strafanzeigen zunächst bei der Staatsanwaltschaft Kiel erstattet und sodann von der Staatsanwaltschaft Hamburg übernommen worden. Sie werden derzeit unter den Einzelaktenzeichen 5700 Js 20/21 bis 5700 Js 90/21 sowie 5700 Js 93/21 geführt. Unter den Aktenzeichen 5700 Js 5/21 und 5700 Js 10/21 sind bei der Staatsanwaltschaft Hamburg zwei weitere Sammelvorgänge anhängig, die sieben beziehungsweise neun Strafanzeigen aus dem Zeitraum August bis Oktober 2021 umfassen und bei verschiedenen, zum Teil auswärtigen Stellen erstattet wurden. In diesen Strafanzeigen werden im Zusammenhang mit der unterlassenen Steuerrückforderung gegen die Warburg-Bank verschiedene Tatvorwürfe erhoben, unter anderem Untreue, Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Bestechlichkeit und Falschaussage. Sie richten sich gegen verschiedene benannte Personen, unter anderem gegen Olaf Scholz und Dr. Peter Tschentscher. Die neun unter dem Aktenzeichen 5700 Js 10/21 eingetragenen Strafanzeigen entsprechen dem Duktus der oben genannten 72 Strafanzeigen.

Die vorgenannten Strafanzeigen wurden von der Staatsanwaltschaft bislang lediglich erfasst. Eine diesbezügliche Entscheidung war mit Blick auf die – den gleichen Komplex betreffenden – durchgeführten Voruntersuchungen in 5700 Js 1/20 und die erst kürzlich ergangene abschließende Beschwerdeentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft zunächst zurückgestellt worden.

Nach der Allgemeinen Verfügung (AV) der Justizbehörde Nummer 11/2016 (Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen) berichtet die Staatsanwaltschaft in Fällen, die wegen der Persönlichkeit oder der Stellung der Beteiligten, wegen der Art oder des Umfanges der Beschuldigung oder aus anderen Gründen weitere Kreise, vor allem parlamentarische Gremien oder die Medien, beschäftigen oder voraussichtlich beschäftigen werden oder die von der Justizbehörde beziehungsweise der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz allgemein oder im Einzelfall als Berichtssachen bezeichnet worden sind. Die Berichte gehen der für die Fach- und Dienstaufsicht über die Staatsanwaltschaften zuständigen Leitung der Abteilung Strafrecht zu, welche sodann grundsätzlich die Behördenleitung über den Bericht auf dem Dienstweg informiert.

Entsprechend hat die Staatsanwaltschaft ohne vorherige Anforderung durch die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz erstmals am 9. September 2021 auf dem Dienstweg über den Prüfvorgang und darüber berichtet, dass nach Prüfung der behaupteten Vorwürfe von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 152 Absatz 2 StPO abgesehen und das Verfahren mit Verfügung vom 7. September 2021 eingestellt wurde, da die Prüfung keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Straftat ergeben hatte. Auf dem Dienstweg wurde noch am selben Tag, also ebenfalls erstmals am 9. September 2021, die Behördenleitung über diesen Bericht der Staatsanwaltschaft und damit über die Einleitung und Einstellung des Prüfvorgangs informiert. Am 3. Dezember 2021 wurde dem Leiter der Abteilung Strafrecht mündlich von der Generalstaatsanwaltschaft über die Beschwerdeentscheidung berichtet.

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss wurde mit Beschluss vom 28. Oktober 2020, das heißt nach Einleitung, aber vor Abschluss des oben genannten Prüfvorgangs 5700 Js 1/20, eingesetzt. Das allgemeine Aktenvorlageersuchen datiert vom 17. Dezember 2020. Die Kontrollfunktion eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung verfassungsrechtlich auf abgeschlossene Vorgänge beschränkt (vergleiche BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984, Az. 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83). Im Zeitpunkt des Aktenvorlageersuchens waren die den Prüfvorgang betreffenden Akten demnach nicht vorlagefähig, weil es sich um ein laufendes Verfahren handelte. Der Senat hatte am 2. Februar 2021 in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss nur abgeschlossene Vorgänge und Verfahren zuzuleiten. Der Prüfvorgang 5700 Js 1/20 gehörte nicht dazu, weil die Staatsanwaltschaft in der von ihr an die zuständige Behörde übermittelten Liste diesen Vorgang mit dem Vermerk versehen hatte, dass die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien und durch eine Bekanntgabe der Untersuchungszweck gefährdet würde; die von diesem Prüfvorgang betroffenen Personen wurden von der Staatsanwaltschaft nicht genannt.

Der Senat geht davon aus, dass Aktenvorlageersuchen generell nur solche Akten erfassen, die im Zeitpunkt des Aktenvorlageersuchens vorlagefähig waren. Darüber hinaus wird der Senat auch weiterhin Aktenvorlageersuchen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften nachkommen.“

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


Verlag C.F. Müller

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