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Marktmanipulation durch Journalisten

Aus wistra 4/2020

Für Unverständnis gesorgt hat bei einzelnen Abgeordneten des Bundestages eine Strafanzeige der BaFin gegen einen Journalisten der Financial Times wegen dessen Berichterstattung zu Wirecard und insbesondere die Formulierung einer angeblichen Marktmanipulation durch Nutzung eines „Medienzugangs zu der Abgabe der Stellungnahme“. Die zuständige Staatssekretärin erklärt hierzu, dass die in der Strafanzeige gewählte Formulierung „Nutzung eines Medienzugangs zur Abgabe einer Stellungnahme“ der Begriffsverwendung des EU-Gesetzgebers in Art. 12 MAR folgt.
Dieser Artikel definiere, was unter einer Marktmanipulation zu verstehen ist.
Als Beispiel einer Marktmanipulation nennt Art. 12 Abs. 2 lit. d) MAR die „Ausnutzung eines gelegentlichen oder regelmäßigen Zugangs zu den traditionellen oder elektronischen Medien durch Abgabe einer Stellungnahme zu einem Finanzinstrument […] (oder indirekt zu dessen Emittenten), wobei zuvor Positionen bei diesem Finanzinstrument [. . .] eingegangen wurden und anschließend Nutzen aus den Auswirkungen der Stellungnahme auf den Kurs dieses Finanzinstruments [. . .] gezogen wird, ohne dass der Öffentlichkeit gleichzeitig dieser Interessenkonflikt ordnungsgemäß und wirksam mitgeteilt wird.“

Dabei geht es – so wird weiter ausgeführt – um eine Form der Marktmanipulation, die aus einer Kombination von veröffentlichten Stellungnahmen und – tatplanmäßig damit verbunden – profitabler Schließung von Positionen in Finanzinstrumenten besteht. Der BaFin hätten im verfahrensgegenständlichen Kontext Indizien vorgelegen, dass mit den Veröffentlichungen der Financial Times die profitable Schließung von sog. Shortpositionen ermöglicht werden sollte, ohne auf Interessenkonflikte hinzuweisen. Die BaFin habe in ihrer Strafanzeige also nicht die inhaltliche journalistische Arbeit bewertet oder angegriffen.
Gemäß Art. 21 MAR ist die journalistische Berichterstattung privilegiert. In den Fällen, in denen mit der Veröffentlichung eigene Interessen bzw. Interessen von kollusiv zusammen wirkenden Personen verbunden sind, ist das Journalistenprivileg hingegen nicht anwendbar (vgl. Art. 21 lit. a], b] MAR). In den journalistischen Verhaltensgrundsätzen und Empfehlungen zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung des Deutschen Presserates sei dies entsprechend festgehalten. Dort heiße es – so führt die Staatssekretärin aus –, dass in den Fällen, in denen Journalisten (auch sachgerechte) Stellungnahmen oder Empfehlungen abgeben, ohne auf Interessenkonflikte hinzuweisen, der allgemeine Beurteilungsmaßstab des Verbotes der Marktmanipulation anzuwenden ist (vgl. Journalistische Verhaltensgrundsätze und Empfehlungen des Deutschen Presserats zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung, S. 6f.), (BT-Drucks. 19/16190).
Die Wirecard AG ist ein weltweit tätiges Zahlungsdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Deutschland. Die Aktien der Wirecard AG sind an der Frankfurter Wertpapierbörse zum Handel zugelassen und seit September 2018 Bestandteil des DAX. Bemerkenswert ist, dass die BaFin von Februar bis April 2019 ein Leerverkaufsverbot für Wirecard verhängt hatte. Es war das erste Mal, dass die BaFin ein solches Leerverkaufsverbot für die Aktien eines einzelnen Unternehmens ausgesprochen hat. Die BaFin gab als Begründung an, dass die Preisentwicklung der Wirecard-Aktie (Reduzierung der Marktkapitalisierung um teils etwa 40 Prozent) aufgrund von Medienberichten „eine ernstzunehmende Bedrohung für die Finanzstabilität oder das Marktvertrauen in Deutschland oder in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten“ darstellt.

Voraussetzung für das Ergreifen einer Leerverkaufsmaßnahme nach Art. 20 VO (EU) Nr. 236/2012 (EU-LeerverkaufsVO) ist entweder eine Bedrohung für das Marktvertrauen oder eine Bedrohung der Finanzstabilität. Insoweit ist ausweislich BT-Drucks. 19/11349 eine Einzelfallentscheidung in Abwägung aller vorliegenden Umstände zu treffen, die einem Abwägungsprozess unterliegt. Nicht jede sog. Short-Attacke solle automatisch zu einer Maßnahme gemäß den Instrumentarien der EU-LeerverkaufsVO führen. Die BaFin habe das Verbot der Begründung und der Vergrößerung von Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien der Wirecard AG am 18.2.2019 aufgrund der in den Tagen vor Erlass der Allgemeinverfügung festgestellten massiven Unsicherheiten an den Finanzmärkten erlassen. Diese stellten nach Einschätzung der BaFin eine ernstzunehmende Bedrohung für das Marktvertrauen in Deutschland dar. Auslöser für die Maßnahme seien insbesondere die Preisentwicklung der Aktie der Wirecard AG in den Wochen zuvor sowie die vorliegenden Hinweise auf sog. Short-Attacken auf die Wirecard AG gewesen. Das Unternehmen sei bereits in der Vergangenheit (2008 und 2016) wiederholt Ziel solcher Angriffe gewesen. Zudem sollen seit Ende Januar 2019 erneut negative Presseberichte über die Gesellschaft vorgelegen haben.

Die BaFin hat im zeitlichen Kontext eine Untersuchung wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation nach Art. 15 MAR eröffnet. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen nach Auskunft der zuständigen Staatssekretärin die der BaFin vorliegenden Hinweise und Informationen ausgewertet worden sein; weiter sollen zur Aufklärung des Sachverhalts Auskunfts- und Vorlageersuchen erlassen worden sein.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


Verlag C.F. Müller

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