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Niedersachsen: Korruption in der Polizei und im Justizvollzug

aus wistra 2/2024

Nach Auskunft des Zentralen IT-Betriebes Niedersachsen sind im Zeitraum vom 1.1.2020 bis 17.10.2023 im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister insgesamt 377 Strafverfahren zur Eintragung gelangt (2020: 85; 2021: 126; 2022: 75; 2023: 91), welche auf den Vorwurf der Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung, Bestechung oder der Bestechlichkeit lauten. Bei der Eintragung werde allerdings – so merkt die Landesregierung an – nicht erfasst, ob sich das Verfahren gegen Mitglieder der Polizei bzw. des Justizvollzugs richtet bzw. gerichtet hat. Dies könnte nur durch eine händische Auswertung ermittelt werden, die innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit und angesichts der Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaften, deren Kernaufgabe die zügige und nachhaltige Aufklärung und Verfolgung von Straftaten sei, im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur schriftlichen Beantwortung nicht geleistet werden könne.

Die nachfolgenden Fallzahlen hinsichtlich der Polizei seien daher auf Basis der „Richtlinie für den Nachrichtenaustausch bei Korruptionsdelikten“ des BKA (BK-Blatt 97/2004) und der „Richtlinie zur Intensivierung der Verfolgung der Korruptionsdelinquenz“ (Az. 12334/4-50, Stand: 1.1.2012) des Landeskriminalamtes Niedersachsen in der themenbezogenen Sammlung „Korruption in Niedersachsen“ erhoben worden. Die Fallzahlen hinsichtlich des Justizvollzuges stammen wiederum aus der internen Statistik zu Disziplinarverfahren und außerordentlichen Vorkommnissen im Justizvollzug.

Verfahren

2020

2021

2022

2023 (bis 18.10.)

Polizei

3

2

1

17

Justizvollzug

3

4

1

7


Zur Frage, welche Maßnahmen die Landesregierung gegebenenfalls ergreift, um Korruption bei der Polizei und im Justizvollzug vorzubeugen, heißt es:

„Ziel der Landesregierung ist es, auftretende Korruptionsfälle nachhaltig und konsequent zu verfolgen und mithilfe vorbeugender Maßnahmen Korruption rechtzeitig entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck ist die Richtlinie zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung in der Landesverwaltung (sogenannte Antikorruptionsrichtlinie), Beschl. d. LReg v. 01.04.2014 – MI-11.31-03019/2.4.1.3 – (im Folgenden: AntikorrRL), erlassen worden. Die AntikorrRL gilt für alle Behörden und Einrichtungen des Landes Niedersachsen sowie für Landesbetriebe. Sie dient dem Schutz und der Sicherheit der Beschäftigten im Umgang mit Korruptionsgefahren sowie der Sensibilisierung der Beschäftigten hinsichtlich der Korruptionsgefahren. Die Richtlinie ist zugleich Handlungsanleitung, um die notwendigen Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung der Korruption treffen zu können.

Jede Behörde ist verpflichtet, besonders korruptionsgefährdete Arbeitsplätze zu ermitteln und diese in einem Gefährdungsatlas abzubilden, um in diesen Bereichen gezielt vorbeugend tätig werden zu können (vgl. Ziff. 4 der AntikorrRL). Ist für einen Arbeitsbereich eine gesteigerte Korruptionsgefährdung festgestellt worden, sind als weitere Maßnahmen beispielsweise eine Rotation (Ziff. 4.4), d. h. ein Arbeitsplatzwechsel in bestimmten Zeitabständen, oder das Vier-Augen-Prinzip vorgesehen. Bei der Aus- und Fortbildung sind die Erscheinungsformen von Korruption und die damit verbundenen Gefahrensituationen, die Maßnahmen zur Korruptionsprävention sowie straf‑, dienst- und arbeitsrechtliche Konsequenzen in Korruptionsfällen angemessen zu thematisieren. Für die Dienststellen sind Ansprechpartnerinnen und -partner für Korruptionsbekämpfung zu bestellen. Diese dienen den Beschäftigten als direkte Gesprächspartnerin und -partner. Ferner werden die Beschäftigten der Landesverwaltung gemäß Ziff. 6.1 des gem. RdErl. d. MI, d. StK u. d. übr. Min. v. 24.11.2016 – MI-Z 2.3- 03102/2.4 – bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst und mindestens einmal jährlich über das Annahmeverbot von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen belehrt.“

Um zu verhindern, dass Mitglieder krimineller Familienclans eingestellt werden, sollen folgende Maßnahmen ergriffen worden sein:

„Zum Polizeivollzugsdienst:

Alle Bewerberinnen und Bewerber für den Vollzugsdienst der Polizei Niedersachsen werden im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit durch die für die Nachwuchsgewinnung zuständige Polizeiakademie Niedersachsen überprüft.

Bewerberinnen und Bewerber werden bereits im Bewerbungsformular bzw. im Rahmen der Onlinebewerbung zu polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen, gerichtlichen und sonstigen Ermittlungsverfahren befragt.

Wenn die Bewerberinnen und Bewerber den ersten Testtag erfolgreich absolviert haben, erfolgt die polizeiliche Überprüfung. Dazu werden die benannten Sachverhalte in der Bewerbung sowie die im Rahmen des Bewerbungsverfahrens gemachten Angaben kontrolliert und die örtlich zuständigen Polizeidienststellen zu Erkenntnissen über die sich bewerbenden Personen befragt.

Ferner erfolgt stets ein Abgleich mit Informationsbeständen der polizeilichen Auskunftssysteme. Sofern Einträge in einem polizeilichen Informationssystem vorliegen, führt dies nicht zum automatischen Ausschluss der Bewerberin oder des Bewerbers. Vielmehr nimmt die Polizeiakademie Niedersachsen in jedem Fall Akteneinsicht und würdigt den Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der charakterlichen Eignung der Bewerberin oder des Bewerbers.

Im Rahmen der Einzelfallprüfung, und hier insbesondere durch die Einsichtnahme in die jeweilige Ermittlungsakte, werden relevante Rückschlüsse auf den jeweiligen Charakter erkennbar. Relevante Charakterzüge für eine Ungeeignetheit können insbesondere Gewaltneigung, mangelnder Respekt vor der Rechtsordnung, ein gestörtes Verhältnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, fehlende Offenheit, ungenügendes Sozialverhalten und fehlende emotionale Stabilität sein.

Nachdem alle Bewerberinnen und Bewerber den ersten Testtag absolviert haben, erfolgt eine Abfrage beim Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz. Etwa drei Monate vor Einstellung erfolgt eine weitere Überprüfung aller zur Einstellung anstehenden Bewerberinnen und Bewerber beim Niedersächsischen Landeskriminalamt.

Durch diesen, das gesamte Bewerbungs- und Auswahlverfahren begleitenden Prozess der Zuverlässigkeitsüberprüfung wird sichergestellt, dass eine aktuelle und verlässliche Prognose in Bezug auf die charakterliche Eignung der Bewerbenden für den Polizeivollzugsdienst Niedersachsen gestellt werden kann.

Zum Justizvollzugsdienst:

Im Justizvollzugsdienst werden ebenfalls umfangreiche Einstellungsauswahlverfahren durchgeführt. In diesen Auswahlverfahren werden mithilfe von Rollenspielen auch die Sozialkompetenzen geprüft. Darüber hinaus wird über strukturierte Interviews in Erfahrung gebracht, wie die Bewerberinnen und Bewerber ihre Freizeit gestalten, beispielsweise in Vereinen engagiert sind. Erst am Ende des Auswahlverfahrens wird entschieden, ob die Bewerberin oder der Bewerber für eine Tätigkeit im Justizvollzugsdienst (u. a. charakterlich) geeignet ist. Relevante Charakterzüge für eine Ungeeignetheit können auch im Justizvollzug insbesondere Gewaltneigung, mangelnder Respekt vor der Rechtsordnung, ein gestörtes Verhältnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, fehlende Offenheit, ungenügendes Sozialverhalten und fehlende emotionale Stabilität sein.

Bei allen Bewerberinnen und Bewerbern wird das polizeiliche Führungszeugnis (zur Vorlage bei einer Behörde) eingesehen. Zudem erfolgt in allen Fällen eine Abfrage bei dem Niedersächsischen Verfassungsschutz. In Einzelfällen erfolgen Abfragen bei dem Niedersächsischen Landeskriminalamt und den örtlichen Polizeidienststellen nach offenen Ermittlungsverfahren.“

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


Verlag C.F. Müller

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