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Cum-Ex und Cum-Cum im Hessischen Landtag

Aus wistra 10/2021

Der Haushaltsausschuss des Hessischen Landtags hat sich am 9.6.2021 und 30.6.2021 mit einem Berichtsantrag zu folgenden Fragen (Drs. 20/5339) befasst:

„1. Welche konkreten Maßnahmen hat die Landesregierung zwischenzeitlich ergriffen, um die betrügerischen Cum- Ex und die Cum-Cum-Aktiengeschäfte in Hessen aufzugreifen, bzw. die konkreten Hintergründe hierzu zu ermitteln und gegen die handelnden Personen entsprechende zivil- und strafrechtliche Schritte einzuleiten?
2. Bestehen nach Kenntnis der Landesregierung nunmehr Dienstanweisungen oder andere Verwaltungsrichtlinien/ Erlässe etc. an die Steuerfahndung/Bankenbetriebsprüfung, diesbezüglich einen Ermittlungsschwerpunkt zu bilden? Wenn ja, bitte ich diese zu benennen. Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?
3. Wie beabsichtigt sich die Landesregierung in diesem Themenfeld für die Zukunft aufzustellen, und Missbrauchssituationen dieser Art zu Lasten der hessischen Bürgerinnen und Bürger zu verhindern?
4. Wie viele Betriebsprüfer sind nach Kenntnis der Landesregierung nunmehr zur Aufdeckung von Cum-Ex- und Cum- Cum-Gestaltungen im Bankenbereich eingesetzt und wie war hier die Entwicklungen in den vergangenen vier Jahren?
5. Ist der Bereich der Betriebsprüfung der Banken nach Bekanntwerden der Besteuerungsdefizite innerhalb der letzten vier Jahre nach Kenntnis der Landesregierung weiteres Personal (wie viele Vollzeitstellen mit welchen Beschäftigungsanteilen) zur Verfügung gestellt worden, um die notwendigen Ermittlungen durchzuführen? Wenn keine Personalsteigerung erfolgte, aus welchen Gründen nicht?
6. Inwieweit ist durch die Landesregierung, insbesondere im Bereich der Steuerfahndung, den Staatsanwaltschaften bzw. der Strafjustiz, speziell für diesen Bereich in den vergangenen drei Jahren Personal (nach Vollzeitstellen/Teilzeitstellen, Beschäftigungsanteilen) zur Verfügung gestellt worden und welche Personalressourcen sollen hierfür (ergänzend) zukünftig eingesetzt werden, bis die Verfahren rechtskräftig abgeschlossen worden sind? Wenn keine Personalmehrung erfolgt ist, aus welchen Gründen?
7. Sind, nachdem das Hessische Finanzgericht das rechtswidrige Verhalten der Depotbanken bei den Cum/Ex-Geschäften aufgezeigt und eine Haftungsinanspruchnahme angemahnt hat, der Landesregierung in Hessen nunmehr Haftungsinanspruchnahmen der Banken nach § 44 Abs. 5 EStG bekannt geworden? Wenn ja, in wie vielen Fällen? Wenn nein, sind der Landesregierung Gründe hierfür bekannt?
8. Gibt es seit der o.g. Entscheidung konkrete Dienstanweisungen an die Betriebsprüfung der Banken, im Hinblick auf eine Haftungsinanspruchnahme der Depotbanken, wegen rechtswidriger Nichteinbehaltung der Kapitalertragssteuer zu ermitteln? Wenn ja, bitten wir diese zu benennen. Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?
9. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung, insbesondere die hessische Finanzverwaltung, seit dem Jahr 2017 ergriffen, um den Eintritt der Festsetzungsverjährung bei Cum-Ex und Cum-Cum-Aktiengeschäften zu verhindern? Wenn keine Maßnahmen ergriffen wurden, warum nicht?
10. Sind der Landesregierung neue Cum-Ex-Aktiengeschäfte, insbesondere aus dem Bereich von gemeinnützigen Vereinen oder Investmentfonds, bekannt geworden?
11. Wie bewertet die Landesregierung die Auffassung, dass dringender Handlungsbedarf für die Finanzverwaltung besteht, Cum-Cum-Geschäfte unter dem Gesichtspunkt des Gestaltungsmissbrauchs aufzugreifen?
12. Wie bewertet die Landesregierung den Sachverhalt, dass in Hessen trotz der Abschaffung der spezialgesetzlichen Regelung des § 50c EStG im Jahr 2001 und der Entscheidung des BFH bereits in 2015, wonach bei Bestehen eines Gesamtvertragskonzepts, das die wirtschaftliche Nutzung der Aktien ausschließt, das wirtschaftliche Eigentum nicht auf den Aktienerwerber übergeht, nach Medienberichten nur wenige Verfahren durch die Bankenbetriebsprüfungen/Steuerfahndung/ Staatsanwaltschaft/Strafgerichte aufgegriffen worden sind, gleichwohl diese Geschäfte in großem Umfang, insbesondere von Banken, betrieben wurden?
13. Erfolgten von Seiten des Bundesministeriums der Finanzen in den vergangenen zehn Jahren Weisungen an hessische Finanzbehörden im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren wegen Steuerrückforderungen bei Cum-Ex und Cum-Cum-Aktiengeschäften in Hessen oder anderen Ländern? Wenn ja, aus welchen konkreten Gründen und wurde den Weisungen unter welchen Aktenzeichen entsprochen bzw. nicht entsprochen?
14. Wie viele Fälle im Bereich der Cum-Cum-Aktiengeschäfte sind von der hessischen Finanzverwaltung nunmehr aufgegriffen und Rückforderungsbescheide in welcher Höhe erlassen worden? Wenn dies in keinem Fall geschehen ist, aus welchen Gründen nicht?
15. Wie bewertet die Landesregierung mit Blick auf Frage 12 das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 28. Januar 2020 (Az. 4 K 890/17)?
16. Wurden die Finanzämter in Hessen durch das Finanzministerium angewiesen, die wesentlichen Entscheidungen des Gerichts aus dem in Frage 15 genannten Urteil in der Praxis bei der Beurteilung von Cum-Cum-Aktiengeschäften in Anwendung zu bringen? Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?
17. Sind der Landesregierung Sachverhalte bekannt geworden, nach denen die Steuerverwaltung die wesentlichen Entscheidungen des Gerichts aus dem genannten Urteil auch ohne Anweisung des Finanzministeriums zu Gunsten der hessischen Bürgerinnen und Bürger in Anwendung gebracht haben? Wenn nein, warum nicht?
18. Inwieweit wurden das Finanz- bzw. Justizministerium über Verfahrensstände, ggf. bestehende Problemstellungen und notwendig zu treffende Personal- oder Sachmittelentscheidungen zu welcher Zeit informiert? Wenn ja, mit welchem Inhalt? Welche Maßnahmen wurden durch die Hausleitungen jeweils hieraufhin veranlasst?
19. Wie sind nach Kenntnis der Landesregierung die Verfahrensstände der strafrechtlichen Ermittlungs- und Justizverfahren bei Cum-Ex und Cum-Cum-Aktiengeschäften in Hessen? Wie viele Verfahren sind insbesondere bereits abgeschlossen, werden zeitnah abgeschlossen, werden voraussichtlich nicht abgeschlossen?“

Einleitend hatte es insoweit zur Begründung geheißen:
„Neben den Cum-Ex-Geschäften, deren Rechtswidrigkeit das Hessische Finanzgericht in zwei grundlegenden Entscheidungen (4 K 1684/14 und 4 K 977/14) festgestellt hat, und die nun Grundlage der strafrechtlichen Verfolgung der verantwortlichen Personen, insbesondere durch die Staatsanwaltschaft Köln, geworden sind, sind zwischenzeitlich auch die Cum-Cum-Geschäfte stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Durch die seit der Körperschaftsteuerreform in 2001 bis 2016 im großen Stil praktizierten Gestaltungsmodelle mit Cum-Cum-Aktiengeschäften über den Dividendenstichtag wurde die Besteuerung inländischer Dividendenerträge von beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Anteilseignern – die mehr als 65% aller Aktien an den deutschen börsennotierten Unternehmen halten – umgangen. Dadurch sind dem Fiskus Steuerausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe entstanden. Bereits in 2015 hatte der Bundesfinanzhof in einem Urteil bei einer typischen Gestaltung, trotz zivilrechtlich wirksamer Übertragung der Aktien über den Dividendenstichtag, den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO verneint, mit der Folge, dass dem deutschen Kreditinstitut die beantragte Kapitalertragssteuererstattung bzw. -anrechnung zu versagen war. Das FG Hessen hat nunmehr weitergehend in einer Entscheidung vom 28. Januar 2020 (4 K 890/ 17) die Beurteilung der Finanzverwaltung bestätigt und die Cum-Cum-Geschäfte auch als Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO angesehen, mit der Folge, dass die Geschäfte in ihrer Gesamtheit steuerlich nicht anzuerkennen sind. Dabei geht die Bedeutung des Urteils weit über die Beurteilung der Cum-Cum-Geschäfte hinaus, trifft es doch grundlegende Aussagen über die Voraussetzungen für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs, die sich regelmäßig bei verschiedenartigen Steuergestaltungsmodellen stellen. Zwar hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich den Cum- Cum-Aktiengeschäften mit Einführung des neuen § 36a EStG (mit Rückwirkung zum 1. Januar 2016) die Grundlage entzogen.“
Das Hessische Ministerium der Finanzen soll hierauf mit einem – unveröffentlichten – Schreiben vom 28.5.2021 reagiert haben. Der Ausschuss behandelte den Vorgang damit als erledigt (HHA 20/30).

Rechtsanwalt Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin


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